Social-Media-Mafiosi Camorra 2.0: So revolutionieren Nachwuchs-Gangster mithilfe von TikTok die italienische Mafia

Die italienische Mafia bietet genug Stoff für viele Romane und Sachbücher.
Die italienische Mafia verbreitet noch immer Angst und Schrecken,
© Getty Images
In Italien erwächst eine neue Generation Mafiosi, die auf traditionelle Gepflogenheiten pfeift. Die Nachwuchsgangster der Mafia suchen das Rampenlicht. Ihre Bühne: TikTok. Den Bossen dürfte das gewaltig stinken.

Eigentlich sind sie Schattengewächse, agieren lieber im Verborgenen. Dort, wo sie unbehelligt ihren Geschäften nachgehen können: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Mord. Der Untergrund ist die Bühne der italienischen Mafia – war er zumindest mal. Denn die neue Generation Mafiosi scheint von dem Versteckspiel ihrer kriminellen Vorfahren nicht mehr allzu viel zu halten. Die Nachwuchsgangster stellen ihr kriminelles Leben regelrecht zur Schau – und das ausgerechnet auf der Social-Media-Plattform TikTok

Die Accessoires: Dicke Karren, Designerklamotten, Kampfhunde und jede Menge Champagner. Was Crescenzo Marino seinen Followern präsentiert, ähnelt den Posen, die man aus der Rap-Kultur kennt. Nur ist Marino kein Chartbreaker sondern ein Gesetzesbrecher, zumindest gehört er zu einer Familie von solchen. Er ist der Sohn eines berüchtigten Camorra-Bosses. Die Camorra ist eine der ältesten und größten kriminellen Organisationen Italiens. Hauptschauplatz ihrer Tätigkeiten ist Neapel.

Junge Mafiosi suchen auf TikTok das Rampenlicht

Marino macht auf seinem Kanal in erster Linie auf dicke Hose. Mit Erfolg. Er bekommt für seine Protzerei jede Menge Aufmerksamkeit. Mehr als 43.000 Menschen folgen ihm, schauen die kurzen Videos, die ihm dabei zeigen, wie er mit seinen Kampfhunden spielt oder mit dem Ferrari die Straßen von Paris unsicher macht. Relativ unverfängliche Angeberei, mehr nicht. Doch die Camorra nutzt die Video-Plattform inzwischen auch als Mitteilungsorgan, gibt dort bekannt, wenn eine Vendetta, also ein Rachefeldzug, geplant ist. Auch neu geschlossene Allianzen werden so publik gemacht. Und so entwickelt sich die Vereinigung nach und nach zur Camorra 2.0.

So sollen sie die Plattform unter anderem auch dafür genutzt haben, die italienische Polizei nach einem Mord unter Druck zu setzen. "Wir geben euch eine Woche Zeit, um sie zu verhaften, oder wir werden ihnen die Hölle heiß machen", so die Warnung in der Nachricht. Dass die Mafiosi so öffentlich kommunizieren, ist neu. Im Gespräch mit der "Times" sagte der Mafia-Experte Marcello Ravveduto: "Zum ersten Mal haben diese Gangster einen direkten Weg gefunden, um über ihr Leben zu sprechen."  

Wenn die Mafia viral geht

Im Mai 2020 machte auf TikTok der Song "Sì Sto' Carcerato" die Runde. Der Titel bedeutet so viel wie: Ja, ich bin im Gefängnis. Interessant daran war aber nicht etwa das Lied selbst, sondern vielmehr wo es gedreht wurde. Aufgenommen hatte Tommy Riccios das gute Stück in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Neapel, das bekannt dafür ist, dass dort viele junge Männer sitzen, die zur Camorra gehören. Genutzt hat er dafür ein in die Zelle geschmuggeltes Handy. "Vice Italy" berichtete. Inzwischen wurde der Clip von der Plattform gelöscht. Weitere Videos mit Waffen, Drogen und anderem fragwürdigen Inhalt kursieren aber weiter. Die jungen Mafiosi machen genau das, was die Älteren traditionell zu vermeiden suchten: sie lassen die Welt ganz selbstverständlich an ihren Taten teilhaben, brüsken sich damit im Rampenlicht

Ihre Zurschaustellung per Kurzvideodienst diene demnach auch dazu, die Höhergestellten auf sich aufmerksam zu machen. Es funktioniere, schrieb die "Vice", wie eine Art Vorsprechen für Macht- und Führungspositionen. Die kriminellen Clans in Italien sind übrigens nicht die einzigen, welche TikTok für derlei Handlungen nutzen. Wie die "DailyMail" berichtet, haben sie sich das von den mexikanischen Narcos abgeschaut.


Quelle: Guardian, Times, Vice

tpo

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