Haftentlassungen Auf Sizilien geht die Angst um – mehr als 20 Mafia-Bosse wieder auf freiem Fuß

Die Nebenstraßen von Sizilien sind die Keimzelle der Cosa Nostra. Ermittler befürchten, dass die Mafia-Organisation wieder Aufwind bekommen könnte (Symbolbild)
Die Nebenstraßen von Sizilien sind die Keimzelle der Cosa Nostra. Ermittler befürchten, dass die Mafia-Organisation wieder Aufwind bekommen könnte (Symbolbild)
© Andrea Savorani Neri / Imago Images
Ist es die Rückkehr der sizilianischen Mafia? In den vergangenen drei Monaten wurde eine Reihe von Gangster-Bossen aus der Haft entlassen – teils aus fragwürdigen Gründen.

Es ist eine Entlassungswelle, die für Unverständnis und Angst sorgt: Auf Sizilien sind in den vergangenen drei Monaten mehr als 20 ehemalig führende Mitglieder der sizilianischen Mafia "Cosa Nostra" wegen guter Führung oder auf Bewährung aus der Haft entlassen worden. Angehörige von Opfern des Organisierten Verbrechens befürchten nun, dass die ehemaligen Gangster-Bosse wieder in die Viertel zurückkehren, die sie einst kontrollierten, wie der britische "Guardian" berichtet. Die meisten der Mafiosi hätten sich demnach nie von der Cosa Nostra losgesagt oder mit den Behörden zusammengearbeitet. Sie berufen sich auf die sogenannte "Omertá", die Schweigepflicht der Mafia.

Salvatore Borsellino, der Bruder des ehemaligen Anti-Mafia-Richters Paolo Borsellino, der 1992 ermordet wurde, erklärte: "Die Entlassung von Mafiosi aus dem Gefängnis, die sich stets geweigert haben, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, ist immer äußerst gefährlich. Das ist ein fataler Schlag für den Kampf gegen die Mafia."

Angehöriger von Opfer warnt davor, die Mafia auf Sizilien zu unterschätzen

Ähnlich äußerte sich auch Nino Morana Agostino, Neffe des Polizisten Nino Agostino, der 1989 am helllichten Tag zusammen mit seiner im fünften Monat schwangeren Frau Ida erschossen wurde. Gegenüber der italienischen Zeitung "La Repubblica" sagte er: "Wir dürfen im Kampf gegen die Mafia nicht nachlassen oder sie unterschätzen: "Wir können es uns nicht leisten, im Kampf gegen die Mafia nachzulassen oder sie zu unterschätzen."

Die Mafiosi, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden und nun auf Bewährung in die Freiheit zurückkehren, hätten immer noch Geheimnisse über ungelöste Mafiamorde, die sie nicht zugeben wollten. Deshalb sei ihre Freilassung ein schlechtes Signal, so Agostino.

Entlassene sind teils hochkarätige Bosse der Cosa Nostra

Die Liste der Entlassenen liest sich wie ein Who-is-Who der Führungsriege der Cosa Nostra: Im Oktober wurde der 74-jährige Raffaele Galatolo entlassen, ein Mafia-Boss aus dem Viertel Acquasanta in Palermo. Das zuständige Gericht erklärte ihn wegen seines guten Verhaltens im Gefängnis zu einem "Musterhäftling".

Kaum zu glauben, denn Galatolo und sein Bruder Vincenzo, die beide wegen Mordes verurteilt wurden, waren die "Leiter" der so genannten "Todeskammer". Dies war eine Art Exekutions-Raum, in dem die Opfer auf Anweisung des damaligen Chefs der sizilianischen Mafia, Salvatore "Totò" Riina, erwürgt wurden. Für Hinterbliebene und Experten ist die Entlassung von Galatolo mit besonders viel Risiko verbunden, denn nach dem Tod seines Bruders ist er der einzig verbliebene "Thronfolger" der Mafiafamilie Acquasanta.

Doch der 74-Jährige ist nicht der einzige Mafia-Promi, der wieder auf freiem Fuß ist. Bereits eine Woche zuvor war Giuseppe Corona entlassen worden, der seit 2018 in einem Hochsicherheitsgefängnis für Mafiabosse in Untersuchungshaft saß. Der Grund: Die Behörden schafften es nicht, ihm den Prozess zu machen. Er saß die maximale zulässige Zeit in U-Haft, da sich seine Gerichtsverhandlung immer wieder verzögerte. 

Oberstaatsanwalt versichert, sich weiterhin auf Kampf gegen die Mafia zu konzentrieren

Ebenfalls im Oktober entließ das Berufungsgericht in Palermo aus demselben Grund neun Mafia-Bosse aus der sizilianischen Stadt Trapani, die mit dem ehemaligen Boss Matteo Messina Denaro in Verbindung gestanden haben sollen. Denaro wurde im Januar 2023 nach 30 Jahren auf der Flucht verhaftet und starb ein Dreiviertel Jahr später im Gefängnis. 

Der Oberstaatsanwalt von Palermo, Maurizio de Lucia, versicherte kürzlich, sich trotz, oder gerade wegen der Haftentlassungen weiterhin auf den Kampf gegen die Mafia zu konzentrieren. 

Ermittler befürchten, die "Cupola" könnte sich neu organisieren

In den vergangenen Jahren gelangen den Ermittlungsbehörden immer wieder schwere Schläge gegen die Organisierte Kriminalität. Einige Experten sahen schon eine Phase des Niedergangs der Cosa Nostra. Doch möglicherweise wirft die Behörden die aktuelle Entlassungswelle wieder zurück. Ermittler befürchten laut "Guardian", dass sich die sogenannte "Cupola" (zu deutsch Kuppel) der Mafia nun neu organisieren könnte.

Die Cupola ist das wichtigste Gremium der sizilianischen Cosa Nostra. Die Mafia auf der italienischen Insel setzt sich aus mehreren kriminellen Familienclans zusammen. Sie arbeiten grundsätzlich zwar unabhängig und konkurrieren teilweise sogar, das übergeordnete Gremium ist aber die Cupola. Sie gilt als Führungsetage der Mafia und setzt sich aus den Oberhäuptern der jeweiligen Familien zusammen. 

Federico Varese, Professor für Kriminologie an der Universität Oxford befürchtet, dass die Mitglieder der sizilianischen Mafia innerhalb der Organisation durch ihre Haftstrafen sogar noch mehr Ansehen erlangen könnten. Dass der Strafvollzug die Mitglieder zu besseren Menschen gemacht hat, glaubt er nicht: "Der Eintritt in die sizilianische Mafia ist lebenslänglich. Man kann sie nur mit dem Tod oder dem Ausschluss als Kronzeuge verlassen. Daraus folgt, dass diejenigen, die in die Viertel von Palermo und Trapani zurückkehren, ihre mafiösen Aktivitäten wieder aufnehmen werden.“

pgo

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