Fotodokumentation Die vierte Gewalt

str_crime Von Teja Fiedler
Ein Zimmer im Hotel Florio
Am 5. Januar 1979 versammelte der Boss der neapolitanischen Camorra, Raffaele Cutolo, mehr als 150 Kilometer von seiner Heimat entfernt einige lokale Clanchefs im Hotel Florio. Er wollte die Camorra in Apulien etablieren. Heute ist das Hotel eine Ruine
© Alfredo Bosco
Sie kennt keine Tradition, keine Rituale, ihr geht es nur ums Geld. Sie ist nicht annähernd so bekannt wie Camorra, Cosa Nostra und N’drangheta, aber genauso gefährlich. Der Fotograf Alfredo Bosco hat sich auf die Spuren der Mafia Foggiana begeben

Ganz San Severo ist auf den Beinen, die Menschen drängen zur Via Matteotti. Fahnen werden geschwenkt, lautes Hupen. Italien ist soeben gegen England Fußball-Europameister geworden. Vittoria, Vittoria! Plötzlich Schüsse und Schreie. Neben seinem Motorroller krümmt sich der 42-jährige Matteo Anastasio, er hat drei Kugeln in Hals und Brust. Er stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Auch sein sechsjähriger Neffe, der hinter seinem Onkel Matteo auf dem Roller sitzt, wird von einer Kugel im Bauch getroffen. Die Täter tragen Motorradhelm und brausen unerkannt auf einem Roller davon.

Das Entsetzen in San Severo ist groß. Nicht über den Mord an Matteo Anastasio. Das kennt man hier. Der Tote ist mehrfach vorbestraft, schon seinen Bruder Giuseppe hatte 2017 eine rivalisierende Bande hingerichtet. Aber der kleine Junge: Selbst in Mafia-Kreisen ist man entrüstet, denn Kinder rührt man nicht an. Zum Glück überlebt er. Als die Polizei nach Augenzeugen sucht, meldet sich niemand, obwohl es zur Tatzeit von Menschen wimmelte. Aber niemand will etwas gesehen haben.

Erschienen in stern Crime 40/2021