Archäologische Untersuchung Sturm brachte geheimnisvolles Schiffswrack in der Nordsee zum Vorschein

Wrack der Ulpiano auf der Sandbank Süderoogsand
Das Wrack des Schiffs "Ulpiano" vor der Hallig Süderoog. Der Orkan Mitte Februar förderte zwei weitere Wracks zutage.
© C. Kaiser / Picture Alliance
Der Sturm "Zeynep" hat in der Nordsee Tausende Tonnen Sand in Bewegung gesetzt und dabei ein 30 Meter langes Schiffswrack zum Vorschein gebracht, das Archäologen nun untersuchen.

"Wir haben draußen im Watt schon viel gesehen, aber das war ein Anblick, der uns umgehauen hat", beschreibt Holger Spreer-Wree den Fund eines knapp 30 Meter langen Schiffswracks. Als Ranger der Hallig Süderoog ist der ehemalige Kapitän eines Krabbenkutters der einzige Bewohner des kleinen Eilands und kennt sich im Wattenmeer bestens aus. Ohne die Ortskenntnisse des Einheimischen wären die Überreste des Schiffes wohl unentdeckt geblieben.

Orkan "Zeynep", der in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar über das Land gezogen ist, und teilweise verheerende Schäden angerichtet hat, legte das Relikt frei. Nach Angaben von "National Geographic" haben die starken Winde rund 400 Tonnen Sand bewegt und das Wrack somit freigespült. Experten schätzen, dass rund um die nordfriesischen Inseln Hunderte Schiffsüberreste im Sand verborgen sind. Holger Spreer-Wree entdeckte bereits häufig Bauteile von havarierten Schiffen. Dass ein Wrack in so großen Teilen zum Vorschein kommt, sei jedoch ein seltener Fall.

Entdeckung bei Kontrollgang an der Nordsee

Der Ranger wurde zehn Tage nach dem Sturm bei einem Kontrollgang an der Sandbank Süderoogsand auf das Relikt aufmerksam. Wie der NDR berichtet, liege das Wrack in der Schutzzone 1 des Nationalparks Wattenmeer. Eine Gegend, die nur von den Rangern betreten werden darf. Nachdem das Archäologische Landesamt den Wissenschaftler Daniel Zwick mit der Erforschung des Wracks beauftragt hatte, erhielt der Experte eine Sondergenehmigung für das Areal.

Luftbild der Hallig Süderoog
Luftbild der Hallig Süderoog. Rund um das Eiland befinden sich schätzungsweise noch Hunderte Überreste von Schiffen
© Carsten Rehder / Picture Alliance

Zusammen mit Spreer-Wree machte Zwick sich auf den Weg zu dem Fundstück. Bei Ebbe startete der Schiffsarchäologe seine Untersuchung. Neben Fotos und Vermessungen des Schiffs nahm der Experte mit Hilfe einer Kettensäge auch Proben aus dem Holz. Diese sollen in einem Labor ausführlich analysiert werden. In einer sogenannten dendrologischen Untersuchung kann nicht nur das Alter des Holzes, sondern auch der Zeitpunkt der Baumfällung bestimmt werden. Anhand dessen können die Forscher den Zeitraum festlegen, in dem das Schiff gebaut wurde.

Schiff wohl für den Einsatz im Watt gebaut

"Ich würde das Schiff anhand der Bauweise grob in das 19. Jahrhundert einordnen", sagt Daniel Zwick im Gespräch mit "National Geographic". Aber auch das 18. oder das frühe 20. Jahrhundert erscheinen ihm möglich. Abgesehen vom Rumpf sind an dem Wrack noch einige Kleinteile erhalten geblieben, darunter zwei "Jungfernblöcke", die auf altertümlichen Schiffen dafür benutzt wurden, die Seile zu befestigen, mit denen die Segelmasten versteift wurden. Rostflecken am Vorderteil des Rumpfes deuten auf eine Eisenkette hin, die das Schiff zusätzlich stabilisiert hat.

Die Form des Wasserfahrzeugs beschreibt der Archäologe als "plattbödig", eine gängige Bauweise, die im 18. und 19. Jahrhundert vor allem in Deutschland und den Niederlanden verbreitet war. Das Schiff sei laut dem Experten für den Einsatz im Watt geeignet und könnte beispielsweise Teil der niederländischen Handelsflotte gewesen sein. Die genaue Herkunft des Schiffes lässt sich aber noch nicht abschließend klären.

Nordsee zersetzt die Relikte

Auf sogenannten Strandungslisten sind die im Laufe der Jahrhunderte havarierten Schiffe aufgezählt. Sobald das Alter des Wracks feststeht, könnten die Archäologen bei einem Abgleich mit diesen Dokumenten auf das genaue Exemplar stoßen. Bekannt sind etwa 800 Strandungen, die Dunkelziffer sei laut Zwick um einiges höher, da der Verlust eines Schiffes in vielen Fällen nicht festgehalten worden war.

Wichtig bei den archäologischen Untersuchungen im Meer ist vor allem, dass sie zeitnah starten. "Wir müssen uns beeilen, wenn wir zumindest die bekannten Überreste ausgiebig erforschen wollen", sagt Archäologe Mike Belasus vom Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung dem "Spiegel". Denn Gezeiten, Verwitterung und Stürme tragen die noch vorhandenen Reste immer weiter ab und verursachen Schäden an den Relikten. Zusätzlich nagen holzfressende Muscheln an den Schiffsüberresten.

Weiteres Wrack bei Süderoog

Das Watt gilt als riesiger Schiffsfriedhof, auf dem eine große Anzahl von Wracks nach wie vor unentdeckt auf dem Meeresgrund lagert. Viele davon befinden sich an kaum zugänglichen Orten oder sind durch die Gezeiten bereits in Einzelteile zerrissen und fortgespült worden. Auch am Wrack vor Süderoog hat der Sturm Spuren hinterlassen. Daniel Zwick konnte feststellen, dass sich eine Bordwand gelöst hat und vom Wind mitgerissen wurde.

Die Naturgewalten der Nordsee machen auch die Arbeit am Wrack zu einer komplizierten Angelegenheit. "Man muss sich genau überlegen, welche Details man dokumentieren möchte, um die Zeit so gut wie möglich auszunutzen", erklärt Zwick dem NDR. Denn sobald die Flut einsetzt, verschwindet das Relikt wieder unter der Meeresoberfläche. Für ein zweites Wrack, das ebenfalls durch "Zeynep" zutage gefördert wurde, blieb dem Archäologen deshalb keine Zeit mehr.   

lhi

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