Es ist eine Revolution beim traditionsreichen "Politiker-Derblecken" auf dem Münchner Nockherberg: Im Frühjahr soll mit der Kabarettistin Luise Kinseher erstmals eine Frau die Fastenpredigt halten. In der Rolle der Bavaria, die "an ihrer Heimatliebe erkrankt ist und Antidepressiva braucht", will die 41-Jährige den Politikern am 23. März beim Starkbieranstich die Leviten lesen.
Die Politikprominenz, die traditionell in Scharen zum Nockherberg kommt, um sich bei Starkbier und Brotzeit durch den Kakao ziehen zu lassen, wird sich dabei einiges von Kinseher anhören müssen. Beim "Derblecken" dürfe man ruhig auch böse sein und kräftig zu Werke gehen, sagte sie bei ihrer offiziellen Vorstellung am Dienstag. Man müsse auch auf die Personen zielen, auf ihre Schwächen und unerfüllten Träume und natürlich das aktuelle politische Geschehen, sagte sie.
Zu den sehr scharfen und vor allem kritischen Bußpredigten ihres Vorgängers Michael Lerchenberg, der im Frühjahr mit einem KZ-Vergleich in Richtung Außenminister Guido Westerwelle für einen Eklat gesorgt hatte und zurückgetreten war, ging Kinseher aber auf Distanz. Eine Generalabrechnung mit der Politik überschreite die Grenzen des Veranstaltung, sagte sie. Man müsse das, was gesagt werde, danach mit einem Bier hinunterspülen können.
Absolute, nachvollziehbare Grenzen gebe es beim "Derblecken" nicht. "Ich glaube, dass ich das im Gefühl habe, wie weit ich gehen kann", sagte sie. Sie habe das durch ihre niederbayerische Herkunft verinnerlicht und seit ihrer frühesten Kindheit eingeübt.
Bei ihrer Aufgabe könnte Kinseher auch ihre Rolle als Bavaria, des weiblichen Sinnbilds Bayerns, zugutekommen. Diese sieht sie als mütterliche Figur. "Eine Mama schimpft anders", betonte sie. "Die kann ganz schön hinlangen - aber sie ist halt die Mama." Einen kleinen Vorgeschmack darauf hatte Kinseher bereits im vergangenen Frühjahr gegeben, als sie als Bavaria beim an die Fastenpredigt anschließenden Singspiel aufgetreten war.
Ganz grundsätzlich sei ein weiblicher Humor vielleicht weniger aggressiv, sagte Kinseher. Dass nun erstmals eine Frau die Fastenpredigt halten wird, hält sie für "nur konsequent", schließlich gebe es auch in der Kabarettszene immer mehr Frauen. "Das wird in drei Jahren nichts besonderes mehr sein, sondern völlig normal", sagte sie. Für sie sei es das jetzt schon. "Bei der Frau Merkel fragt sich ja auch keiner mehr, 'warum ist jetzt eine Frau Kanzlerin?'"
Ihr Ziel sei, die Politiker mit ihrem Humor auf den Boden der Tatsachen herunterzuholen, erzählte die Kabarettistin. Zu sagen: "Hallo, wir sind auch noch da, wir haben euch schließlich gewählt."
Andreas Steinfatt, Geschäftsführer der Paulaner-Brauerei, die den alljährlichen Starkbieranstich veranstaltet, erwartet offensichtlich, dass Kinseher als Fastenpredigerin etwas sanfter auftreten wird, als ihr Vorgänger. "Eine Bußpredigerin ist sie sicher nicht", sagte er bei der Vorstellung. In der Rede müssten die Verfehlungen der Politiker aufgenommen werden, aber es müsse ein Spaß sein. Zensiert werde nicht, versprach Steinfatt, man werde aber über die Dinge diskutieren. Schon vor dem Eklat um Lerchenbergs KZ-Vergleich hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Diskussionen über die Fastenpredigten gegeben.
Die Tradition der Nockherberg-Reden geht bis ins Jahr 1891 zurück. Zu Kinsehers Vorgängern gehören unter anderem die Schauspieler Walter Sedlmayr und Max Grießer sowie die Kabarettisten Bruno Jonas und Django Asül.