"Eine Familie im Norden Londons sucht einen außergewöhnlichen und erfahrenen Tutor, um ihr jüngstes Kind bei seinen ersten Schritten auf dem Weg zu einem englischen Gentleman zu begleiten." So beginnt eine kürzlich veröffentlichte Stellenanzeige der britischen Privatlehrer-Agentur Tutors International. Der Sohn der Familie ist laut Anzeige ein Jahr alt.
Wie bitte? Einen Tutor für einen Einjährigen? Ja – aber Windeln wechseln gehört ausdrücklich nicht zum Aufgabenprofil. Die Familie suche "jemand sehr Besonderes", steht dort. Er oder sie sollte zahlreiche Jahre an "Elite-Erfahrung" mitbringen, die besten Universitäten des Landes besucht haben und sicher im Umgang mit den Bedürfnissen ultravermögender und königlicher Familien sein.
Gesucht wird Tutor mit "angemessener" sozialer Herkunft
Außerdem – so heißt es weiter – müsse die Person aus einem "angemessenen sozialen Umfeld" stammen und "Received Pronunciation" sprechen, jenen britischen Prestige-Akzent, den man etwa aus David Attenboroughs BBC-Naturdokus kennt.
Ihre Ansprüche lässt sich die Familie durchaus etwas kosten: Das Jahressalär des Tutors werde bei 180.000 Pfund liegen (ungefähr 200.000 Euro), steht in der Anzeige, bei Arbeitszeiten zwischen 10 und 15 Uhr. Die Eltern des Kindes hoffen, "dass ihr Sohn eines Tages in einem britischen Eliteinternat wie Eton, St. Paul’s, Westminster oder Harrow aufgenommen wird". In Eton sind auch Prinz William und sein Bruder Harry zur Schule gegangen.
Um auf dem Weg dorthin nichts dem Zufall zu überlassen, soll der Junge möglichst bald schon eine Vielzahl typisch britischer Erfahrungen machen. Neben dem Besuch von Museen, Kunstgalerien und Theatern soll er auch "ein altersgerechtes Verständnis von Cricket, Tennis und Reitsportarten wie Polo vermittelt bekommen". "Damit sich seine Gewohnheiten, sein Blick auf die Welt, sein Geschmack und seine sportlichen Vorlieben verfeinern können", so der Wunsch der Familie.
"Das ist die Gesellschaft, in der wir leben"
Adam Caller, Gründer und Geschäftsführer der Agentur Tutors International, dem nach der Veröffentlichung der Anzeige einige heiße Debatten auf dem Karrierenetzwerk Linkedin bevorstanden, sagt der Deutschen Presse-Agentur, er verstehe die Aufregung nicht. Stellenanzeigen dieser Art veröffentliche er ständig, nur dass die zu unterrichtenden Kinder meist etwas älter seien.
Natürlich sei diese Form der Bildung "durch und durch elitär". Aber was sei daran schon problematisch, fragt er. "Das ist nun mal die Gesellschaft, in der wir leben." "Sollten wir etwa auch Menschen kritisieren, die eine Viertelmillion Pfund für ein Auto ausgeben?" "Wenn du arbeitest und Geld verdienst, solltest du die Freiheit haben, dieses Geld auszugeben, wie du willst."
Angst um fehlende Akzeptanz in britischer Oberschicht
Die Eltern des Kindes, berichtet Caller, seien Teil einer ultravermögenden, nicht-britischen Großfamilie aus Übersee. Die Familie hätte zahlreiche Immobilien in einem Londoner Viertel aufgekauft und sehe Großbritannien als neuen Lebensmittelpunkt. "Sie lieben Großbritannien und wollen hier Wurzeln schlagen", sagt Caller. Aber die Eltern hätten Angst, dass ihr Sohn eines Tages nicht als Teil der britischen Oberschicht akzeptiert werde.
Deswegen solle sich der Junge bei einem Tutor von klein auf all die Dinge abschauen, die als urbritisch gelten, so Caller: "Tennis, Rudern, Schießen, Angeln, Polo. Die Art, wie wir Kunst betrachten; wie wir unsere Monarchie kritisieren." Viele dieser Dinge könne man nicht formell unterrichten. Man übernehme sie "osmotisch" von den Menschen, mit denen man Zeit verbringe.
Tutoren-Gehälter über einer Viertelmillion US-Dollar keine Seltenheit
"Sobald er alt genug ist, um auf einem Pferd zu sitzen, kann man ihn in einem Pony-Club anmelden", so Caller. Später könne er lernen, Polo-Spiele zu verstehen, Spieler zu erkennen, Gespräche darüber zu führen.
Caller weiß, wovon er spricht. Seit der Gründung seiner Agentur vor über 25 Jahren vermittelt er Privatlehrer an Familien weltweit. "Außer der Antarktis haben wir schon auf allen Kontinenten Tutoren vermittelt", sagt er. Die Gehälter liegen dabei oft noch weitaus höher als im aktuellen Londoner Fall. Entlohnungen von über einer Viertelmillion US-Dollar pro Jahr beispielsweise sind keine Seltenheit, wie ein kurzer Blick auf die Stellenausschreibungen der vergangenen Wochen zeigt.
Zahl der Milliardäre steigt und steigt
Seine Geschäfte liefen hervorragend, erzählt Caller. In den vergangenen Jahren sei sein Unternehmen stetig um mindestens 20 Prozent im Jahr gewachsen, manchmal sogar um mehr. Auch andere Elite-Agenturen wie etwa London Governess, Keystone Tutors oder Bonas Macfarlane mischen im lukrativen Londoner Markt für Luxuslehrer mit.
Zahlen der Bildungsstiftung Sutton Trust zufolge werden allein in England, Wales und Schottland jährlich mehrere Milliarden Pfund für Privatunterricht ausgegeben. In London erhalten laut Stiftung in bestimmten Altersgruppen inzwischen mehr als 40 Prozent der Schüler zusätzlichen Privatunterricht - fast doppelt so viele wie im nationalen Durchschnitt.
Ein Treiber der starken Nachfrage könnte die wachsende Zahl sehr wohlhabender Menschen sein. Laut dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" steigt die Zahl der Milliardäre weltweit kontinuierlich an und erreichte in diesem Jahr einen neuen Rekordwert von 3.028. Viele von ihnen suchen qualifiziertes Personal.
Die meisten Klienten sind neureich
Die meisten seiner Kunden seien neureich, sagt Caller. Familien mit vererbtem Vermögen seien unter seinen Klienten selten. Fast immer kämen sie aus der Privatwirtschaft, häufig aus dem Finanzsektor. Auch in Deutschland habe er Kunden, "in Frankfurt, München und Berlin". Allerdings sei aufgrund der Schulpflicht in Deutschland kein Hausunterricht möglich.
Die Bedürfnisse seiner Klienten ließen sich grob in zwei Gruppen einteilen, sagt Caller. Eine Gruppe möchte ein Bildungsmodell für ihre Kinder, das zu ihrem eigenen, luxuriösen Lebensstil passt. "Sie haben Häuser und Jachten an mehreren Orten auf der Welt und wollen reisen. Das können sie nicht, wenn ihre Kinder an eine Schule gebunden sind. Also wollen sie, dass die Schule mit ihnen mitzieht."
Schulen nicht mehr "auf der Höhe der Zeit"?
Eine andere Gruppe mache sich Sorgen, dass die Schulen von heute nicht mehr auf der Höhe der Zeit seien. "Meine Klienten stehen oft an der Speerspitze ihrer Industrien und sehen, dass die Welt, die in 30 Jahren kommt, nicht die Welt ist, auf die Schulen ihre Kinder vorbereiten." Schulen, meint Caller, bereiteten Kinder mit Hilfe eines oftmals veralteten Curriculums vor allem auf die Universität vor. Die Gesellschaft und Wirtschaft aber entwickelten sich schneller weiter als je zuvor. Also suchten seine Kunden eine Bildung, die sie selbst für relevant halten.
Diese hohen Standards erfüllen laut Caller nicht viele Bewerberinnen und Bewerber. Die von ihm aufwendig ausgewählten Tutoren seien so etwas wie "moderne Renaissancemenschen". Universalgelehrte, die nicht nur griechische Verben konjugieren können und Caravaggio-Gemälde interpretieren, sondern auch Roboter bauen oder Finanzmärkte analysieren. "Die meisten Lehrkräfte können zwei oder drei Schulfächer unterrichten, aber die Leute, die ich einstelle, können alle unterrichten", sagt Caller. Sogar Schulleiter renommierter britischer Schulen hätten sich bei ihm schon beworben.