Bundesverfassungsgericht Urteilsabsprachen auf dem Prüfstand

Das Bundesverfassungsgericht prüft ein 2009 in Kraft getretenes Gesetz zu Urteilsabsprachen in Strafprozessen. Drei Straftäter hatten gegen die gängige Praxis der Absprachen geklagt.

Die römische Juristenweisheit, wonach Bürger vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sind, wurde am Mittwoch in Karlsruhe wieder einmal bestätigt. Dort prüfte das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen in Strafprozessen. Was die Verfassungshüter dabei zutage förderten, war allerdings erschreckend: Eine Vielzahl deutscher Strafrichter trifft illegale Absprachen und verhängt unzulässig milde Strafen, um sich im Gegenzug mit kurzen Verfahren die Arbeit zu erleichtern.

Zweite Erkenntnis aus einem vom Gericht bestellten Gutachten: Der Wunsch der Richter nach einem kurzen Prozess ist nicht immer von Vorteil für die Angeklagten. Zwar erreichen clevere Anwälte beim Schachern um die Wahrheit für ihre Mandanten Rabatte von bis zu einem Drittel der üblichen Strafen. Andererseits drohen manche Richter den Angeklagten aber auch unzulässig mit schweren Sanktionen, um ein schnelles Verfahren zu erreichen. Dass Angeklagte dann aus Angst auch ein falsches Geständnis ablegen, kommt Verteidigern zufolge durchaus vor.

Absprachen in Strafprozessen gibt es seit mehr als 30 Jahren. Was früher heimlich zwischen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern ausgehandelt wurde, führte nach den Worten von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu einem "Wildwuchs", der mit dem nun auf dem Karlsruher Prüfstand stehenden Gesetz von 2009 eingedämmt werden sollte. Glaubt man dem Gutachten des vom Gericht bestellten Rechtswissenschaftlers Karsten Altenhain und Äußerungen des Präsidenten des Bundesgerichtshofs (BGH), Klaus Tolksdorf, ist das weitgehend nicht gelungen.

Illegale Absprachen sind an der Tagesordnung

Die Regelung sieht vor, dass Richter auch bei Absprachen weiterhin den "wahren Sachverhalt" eines Tatvorwurfs in einer Beweisaufnahme aufklären und dann schuldangemessene Strafen verhängen müssen. Zudem sind sie verpflichtet solch eine Absprache zu protokollieren.

An dieses Gesetz halten sich dem Gutachten zufolge aber viele Strafrichter nicht. Laut Altenhain werden bis zu einem Drittel aller Strafverfahren mit einem Deal erledigt. Knapp 60 Prozent der Amts- und Landrichter räumten in der anonymisierten Umfrage ein, "mehr als die Hälfte" dieser Absprachen an der geltenden Strafprozessordnung vorbei und damit illegal durchgeführt zu haben. Der Grund: Die Richter wollten es "möglichst einfach haben", um ohne "formalen Aufwand" Verfahren abschließen zu können.

Diese Richter wollen deshalb laut Altenhain auch nur ein formales Geständnis, das der Verteidiger und nicht der Angeklagte vorzutragen hat: Redet der Angeklagte zu viel, macht er womöglich den Deal kaputt, weil Richter dann doch noch langwierig Beweise erheben und schärfere Strafen verhängen müssten.

Unlösbare Aufgabe?

Treffen Angeklagte auf einen energischen Richter, kann ein Deal aber auch zu ihren Ungunsten enden: In einem der vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Fälle war ein Polizist wegen schweren Raubes angeklagt, weil er in Berlin illegalen Straßenhändlern Zigaretten abgenommen und auf dem Revier nicht schnell genug asserviert haben soll. Der Richter drohte ihm deshalb mit mindestens vier Jahren Haft. Falls er aber formal gestehe und damit eine Beweisaufnahme überflüssig mache, komme er mit zwei Jahren auf Bewährung davon.

Der inzwischen aus dem Dienst entlassene Angeklagte, der von sich sagt, er sei unschuldig, ging auf den Deal zwar ein, zog dann aber nach Karlsruhe, wo er eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend machte: Der Strafrichter sei laut Gesetz verpflichtet gewesen, den wahren Sachverhalt mit Hilfe von Zeugen aufzuklären und hätte ihn nicht mit der Androhung einer hohen Haftstrafe unter Druck setzen dürfen.

Gut möglich, dass Karlsruhe einen Weg findet, um Urteilsabsprachen, die auch von obersten Juristen bis hin zu Generalbundesanwalt Harald Range kritisiert werden, überprüfbar zu machen. Wie aber verhindert werden soll, dass Richter, Staatsanwälte und Verteidiger weiter mit informellen Absprachen Recht brechen, das ist die spannende Frage.

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Jürgen Oeder, AFP

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