Urteil im Steinewerfer-Prozess Ein hasserfüllter Täter und die Frage: Warum?

Voll schuldfähig oder von Dämonen gesteuert? Im Ellwanger Steinewerfer-Prozess war eine klare Einschätzung für die Richter schwierig. Wichtig war ihnen vor allem der Schutz der Allgemeinheit.

Mitten in der Nacht ist eine Familie auf der Autobahn unterwegs. Mutter, Vater und zwei Kinder. Sie kommen von einer Hochzeit, bis ins heimische Laupheim südlich von Ulm ist es nicht mehr sehr weit. Die Sicht ist gut, die Straße trocken. Der Vater am Steuer bleibt dennoch bei vorsichtigen 120 bis 130 km/h.

Plötzlich ein Stoß, ein Knall, der Wagen überschlägt sich. Die Eltern werden schwer verletzt. Eine Horrorvorstellung für jeden Autofahrer ist für sie wahr geworden: Ein Betonbrocken mitten auf der Fahrbahn.

Knapp sieben Monate nach dem dramatischen Geschehen hat das Landgericht Ellwangen am Dienstag die Strafe für den "Steinewerfer von der A7" verkündet, wie der 37-Jährige seitdem genannt wurde. Das Strafmaß: neuneinhalb Jahren für versuchten Mord in vier Fällen, schwerer Körperverletzung, schwerer Gefährdung des Straßenverkehrs sowie - in einem parallelen Fall - wegen unerlaubten Waffenbesitzes.

Der Täter kommt in die Psychiatrie

Selten im deutschen Strafrecht-Alltag, so der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg, sei die Entscheidung, den Täter nicht in ein Gefängnis, sondern in eine geschlossene psychiatrische Anstalt einzuweisen. Er begründete die Maßnahme mit dem offenbar notwendigen "Schutz der Allgemeinheit" vor dem als gefährlich eingestuften Täter.

Der Mann habe mit einem heimtückischen Tötungsvorsatz gehandelt, als er in der Nacht zum 25. September 2016 einen zwölf Kilo schweren Betonpflasterstein von einer Brücke bei Giengen an der Brenz auf die Autobahn warf. Allerdings haben psychiatrische Gutachter ihm eine schwere seelische Störung und eine stark verminderte Steuerungsfähigkeit bescheinigt.

Besser verstehen kann das, wer diesen Angeklagten während Prozesses immer wieder beobachtet hat. Auf der Anklagebank sitzt er - wie immer mit Schiebermütze, Jeansblouson und Hosen im Military-Look bekleidet - zwischen einem Betreuer aus der Psychiatrie und einem bewaffneten Justizbeamten. An Händen und Füßen ist der bärtige Steinewerfer gefesselt. Am ersten Prozesstag war er ausgerastet, hatte dem Familienvater, der als Zeuge aussagte, gedroht, er würde ihm mit einer Schusswaffe auflauern. Immer wieder machte er verächtliche Gesten. 

Tragische Vorgeschichte

"Brückenteufel" nannte ihn daraufhin eine Zeitung. Armer Teufel wäre vielleicht treffender gewesen. Der Tübinger Psychiater Peter Winckler hat sich stundenlang mit dem Mann unterhalten. "Er wusste, was er getan hat. Er ist schuldfähig", so Wincklers Resümee.

Aber er berichtet auch von Ängsten des Angeklagten, der isoliert auf einem Gartengründstück außerhalb Heidenheims lebte. Die Polizei und die Richter wollten ihn doch sowieso nur wegsperren, habe er erklärt. "Er rechnet selbst mit lebenslanger Haft."

Der Steinwurf sei letztlich aus einem diffusen Hass auf die Menschheit erfolgt. Ein ungezielter Akt der Rache an der Gesellschaft, die ihm in seiner Wahrnehmung stets nur feindlich gesinnt sei. Mutter und Vater, früh geschieden, hätten ihn geschlagen, ihn auch seelisch misshandelt. Verschiedene Heime, Bettnässen, Ungehorsam. Immer wieder "Ausraster", mehrfach Anzeigen wegen Gewalttätigkeit.

Vor dem Steinwurf habe der Angeschuldigte einen "psychischen Zusammenbruch" erlitten, so der Gutachter. Auslöser sei Wut darüber gewesen, dass er von mehreren Menschen als Nichtsnutz beleidigt worden sei. Er habe sich betrunken mit einer Mischung aus Blut, Spiritus, Schnaps.

Der Psychiater konstatiert bei dem Angeklagten eine ausgeprägte Gefühls-Armut und eine hochgradige Ich-Bezogenheit. Er fühle sich von der Gesellschaft gemobbt, schikaniert, missbraucht, gelegentlich leide er an Wahnvorstellungen.

Der Mann ist eine Gefahr für die Allgemeinheit

Bei der Tat habe der Mann aber weder "Stimmen gehört, noch Geister gesehen", erklärt Richter Ilg. Das Gericht habe eine "Gefährlichkeitsprognose" erstellen müssen. Dabei sei klar geworden, dass der Angeklagte wohl immer wieder zu einer Gefahr für andere werden könnte.

Da habe es dann keinen anderen Weg mehr gegeben als den in die Psychiatrie. Und dann? "Wenn ihr mich zu den Psychos steckt", hatte der Steinewerfer dem Psychiater Winckler in den Block diktiert, "dann werde ich denen Sachen beibringen, da werdet ihr euch wundern."

Dieses Phantombild zeigt den Tatverdächtigen im Mordfall Bögerl
Dieses Phantombild zeigt den Tatverdächtigen im Mordfall Bögerl
© Bundeskriminalamt
Neue Spur im Mordfall Bögerl


 

jse/DPA

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