Niznansky-Prozess "Herr über Leben und Tod"

Massenmörder oder Sündenbock? Die Anklage wirft Ladislav Niznansky vor, als Kommandant einer SS-Hilfsgruppe 1945 in der Slowakei 164 Menschen ermordet zu haben. Der 86-Jährige beteuert seine Unschuld.

Der Staatsanwalt trägt den Namen und das Alter jedes Mordopfers vor. Eine Viertelstunde lang hören die Prozessbeteiligten im Schwurgericht München Namen und Alter von 164 Männern, Frauen und Kindern und verstehen so das Ausmaß des Verbrechens erst richtig. Anfang 1945 sollen Angehörige der "Abwehreinheit Edelweiß" unter dem Kommando von Ladislav Niznansky die Menschen in der Slowakei erschossen haben. Doch der 86-jährige Angeklagte sagt: "Ich bin unschuldig!"

Fast 60 Jahre nach den Massakern wird es für das Gericht schwer werden, die Wahrheit herauszufinden. Staatsanwalt Konrad Kuchenbauer wirft Niznansky vor, die 164 Zivilisten "unbarmherzig, gefühllos" und grausam umgebracht zu haben, weil sie Partisanen unterstützt hätten oder weil sie Juden waren. Verteidiger Steffen Ufer hält seinen Mandanten für unschuldig und erwartet einen klaren Freispruch.

Zum Prozessauftakt klärte das Gericht am Donnerstag zunächst einmal den unstrittigen Rahmen. Niznansky war Hauptmann in der slowakischen Armee und nach dem slowakischen Aufstand 1944 in deutsche Gefangenschaft geraten. Anschließend kommandierte er die slowakische Kompanie in der deutschen "Abwehrgruppe Edelweiß" unter Major Erwein Graf Thun-Hohenstein, einer Sondereinheit zur Partisanenbekämpfung. Ende Januar kesselten "Edelweiß"-Kämpfer die Dörfer Ostry Grun und Klak ein und erschossen 146 Einwohner. Anfang Februar erschossen sie 18 jüdische Männer, Frauen und Kinder, die sich in einem Wald bei Ksina versteckt hatten.

"Willkürlicher Mord"

Niznansky habe seinen Männern in Ostry Grun befohlen, "keine lebendige Seele entkommen" zu lassen, sagte Kuchenbauer. Er habe sich "willkürlich als Herr über Leben und Tod" aufgeführt und "mindestens 20 Personen mit seiner Maschinenpistole" eigenhändig ermordet. Die Opfer hätten der Tötung ihrer Familien, Freunde und Nachbarn zusehen müssen, während sie auf ihre eigene Erschießung warteten. In Ksina habe Niznansky auf Thuns Befehl das Hinrichtungskommando zusammengestellt.

Insgesamt 24 Zeugen hat der Staatsanwalt benannt. Kronzeuge ist ein ehemaliger slowakischer "Edelweiß"-Soldat, der Niznansky der eigenhändigen Tötungen bezichtigte.

Der Verteidiger sprach von einer "polemischen" Anklage. 1946 war Niznansky von einem slowakischen Volksgericht freigesprochen, 1962 aber in einem zweiten Prozess in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Doch weder der Kronzeuge noch die anderen Zeugen hätten Niznansky damals als Todesschütze belastet, sagte Ufer, obwohl sie als Angeklagte damals erheblichen Strafrabatt dafür bekommen hätten. Denn Niznansky, der 1946 als tschechoslowakischer Spion in Österreich zu den Amerikanern übergelaufen war und beim US-Sender Radio Free Europe in München arbeitete, galt in der CSSR 1962 als Verräter. Ufer betonte einen zweiten Punkt: Alle Überlebenden des Massakers von Ostry Grun sagten aus, dass "ein Offizier mit deutscher Uniform" die Menschen erschossen habe.

"Ich bin unschuldig!"

Niznansky hatte oft Mühe, die Fragen des Richters zu verstehen - der Verteidiger brüllte ihm dann die Frage noch einmal ins Ohr. Seit einem Schlaganfall spricht Niznansky auch etwas stockend und undeutlich. Aber den Reportern und Kamerateams, die ihn beim Betreten des Gerichtssaals bestürmten, sagte er auf ihre Fragen, es gehe ihm gesundheitlich gut. Und auf weitere Fragen sagte er ruhig: "Ich bin unschuldig!"

Das Gericht umkreiste diese Frage am Donnerstag in einigem Abstand. Auf Fragen des Richters erklärte Niznansky, er sei nach seiner Gefangennahme 1944 vor die Wahl gestellt worden, in der Partisanenabwehr zu dienen oder aber sich vorzubereiten auf "KZ oder Militärgericht". Darauf habe er als einziger slowakischer Offizier die etwa 120 Slowaken bei "Edelweiß" angeführt. "Edelweiß" sei von fünf deutschen Offizieren und etwa 40 deutschen Fallschirm- und Gebirgsjägern geführt worden. Außerdem hätten russische, ukrainische und kaukasische Trupps zu "Edelweiß" gehört. Aber sie hätten "immer unter deutschem Befehl, nie allein, immer unter deutscher Aufsicht" gehandelt.

Tötungen bestritt Niznansky nicht. Aber er sei nie gegen Frauen oder Kinder vorgegangen, noch habe er den Befehl dazu gegeben, sagte Ufer. Nachdem kein SS-Täter der berüchtigten Einsatzgruppe H in der Slowakei zur Verantwortung gezogen worden sei, solle Niznansky jetzt als Sündenbock herhalten.

Nur noch vier Zeugen erwartet

Bis Ende Oktober will sich das Gericht ein Urteil bilden. Am 27. September will es den Kronzeugen hören. Doch nur vier Zeugen hätten bislang zugesagt, nach München zu reisen, sagte Danka Zanovitova von der slowakischen Generalstaatsanwaltschaft der Nachrichtenagentur CTK. "Die meisten lebenden Zeugen sind alt und können aus Gesundheitsgründen nicht reisen."

Das Simon Wiesenthal Center hat den Prozessbeginn gegen Niznansky begrüßt. Der Leiter des Wiesenthal-Büros in Jerusalem, Efraim Zuroff, äußerte die Hoffnung, dass das Verfahren zu Ende geführt werden könne und der Beschuldigte seine gerechte Strafe erhalte. "In einem Fall wie diesem ist es wichtig festzustellen, dass die lange Zeit, die seit den Taten vergangen ist, aus Verbrechern des Holocaust keine unschuldigen Zivilisten macht", hieß es in einer in München veröffentlichten Erklärung von Zuroff. Die Tatsache, dass Niznansky es über 50 Jahre geschafft habe, der Gerechtigkeit zu entgehen, mindere nicht seine Verantwortung für die ihm vorgeworfenen Taten.

AP
Roland Losch/AP

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