Sexuelle Übergriffe via Internet "Ich soll meinen Po vor der Kamera zeigen"

Von Albert Eikenaar
In den Niederlanden brachte im vorigen Jahr ein Mann vierzig Mädchen dazu, sich ihm via Webcam nackt zu zeigen. Der Fall zeigt, wie leichtgläubig junge Mädchen sich auf sexuelle Handlungen via Internet einlassen. Nun versucht der Europarat, solchen Machenschaften einen Riegel vorzuschieben.

Patricia de Jong nannte sie sich, die angeblich junge Dame, die sich im Internet als Scout einer Modellagentur ausgab. Wenn sie im öffentlichen Netz ein nettes Gespräch mit einem interessanten jungen Mädchen führte, versuchte sie, Zugang zu ihrem individuellen Chatprogramm zu bekommen. Dort konnte Patricia sich mit ihrem neu auserkorenen Modell frei unterhalten.

Ganz geschickt manipulierte Patricia in ihren immer intimer werdenden Unterhaltungen blutjunge Mädchen, die über eine Webcam verfügten. Damit konnten sie sich auf dem Computerschirm Patricia "live" nackt zu präsentieren. Wortwörtlich. Denn die nette Patricia beherrschte den Internetjargon der weiblichen Teenies perfekt. Es fiel ihr nicht schwer, das Vertrauen der Mädchen zu gewinnen.

"Ich soll meinen Po vor der Kamera zeigen"

Sie brachte sie soweit, dass sie sich zu einem "Screentest" verführen ließen, wobei die arglosen Opfer ihre Brüste entblösten. Manche wurden zu weiteren unsittlichen Handlungen überredet. Sie zogen ihr Höschen aus, während Patricia "beurteilte", ob ihr Körper für eine Modelllaufbahn geeignet wäre. Sonja war eines der 41 Juniormodelle, die Patricia auf ihren Internet-Streifzügen findet. Sie reagiert argwöhnisch und erzählt ihrer Mutter von "der komischen Patricia", die sich selbst nicht via Webcam sehen läßt, "aber ich soll meinen Po vor der Kamera zeigen".

Die Mutter geht zur Kripo, die Patricias elektronischen Spuren aufnimmt. Man stellt fest, dass hinter dem Pseudonym in Wirklichkeit ein berüchtigter Pädophiler steckt, ein 41-jähriger, verheirateter Mann aus Dordrecht. Bei einer Hausdurchsuchung finden die Fahnder in einem gut dokumentierten Archiv alle Bilder, die "Patricia" sammelte. Dazu alle möglichen privaten Einzelheiten über die ausspionierten Kinder.

Bilder und Informationen kursieren im Internet

Diese Bilder und Informationen kursieren weiterhin im Internet. Denn was dort einmal drin ist, bleibt lange auffindbar - zum Nachteil für die gutgläubigen Mädchen. Der Täter, Vater zweier Kinder, wurde für sein Nepscouting zu einem Jahr Haft verurteilt.

In den Niederlanden ist solcher Websex auch unter jungen Kindern inzwischen weit verbreitet. Sie machen miteinander im Internet ihre ersten sexuellen Erfahrungen, häufig von ihren Altersgenossen dazu angespornt. In einem Land, in dem die Sexualmoral sowieso locker ist, ist auch die Hemmschwelle nicht sehr hoch. Die Eltern haben meist keine Ahnnung, was ihre Kinder, die so geschäftig die Tastatur des Computers bedienen, sich so alles auf dem Schirm anschauen.

Europarat gegen sexuelle Übergriffe

Um Minderjährige vor sexuellen Übergriffen zu schützen, wollen Vertreter des Europarates nun eine eine Konvention auf den Weg bringen. Beim Treffen am Donnerstag und Freitag auf der spanischen Insel Lanzarote soll ein Vertragswerk unterzeichnet werden, das die nationalen Regelungen und Schutzmechanismen gegen sexuellen Missbrauch innerhalb Europas verbessert und vereinheitlicht. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Internet.

Denn zwischen Eltern und Kind klafft eine digitale Kluft. Pornosex haben die Teenies längst schon mal gesehen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass sie selbst mal an einem Sexexperiment teilnehmen wollen und teilweise sogar selbst die Initiative ergreifen. "Dabei kann man wenigstens nicht schwanger werden", sagt die 14-jährige Sonja. Sie geht auf die Suche "nach einem netten Kerl", wenn Mutter und Vater nicht zu Hause sind. "Mit dem will ich schwätzen. Wenn's klickt, gehe ich ein bisschen weiter. Ich hab' eine Webkamera". Von erwachsenen Typen sei sie auch schon angemacht worden.

"Spanner filtere ich raus"

Solche "Cyber-Hawks" finden Sonja auf einer der weit verbreiteten, millionenfachen Profilseiten, wo Jugendliche sich kurz vorstellen, manchmal sexy, sogar in Unterwäsche, mit Daten, Bildern, Texten. Via der Internetseite namens "Sugababes" sucht Sonja ihre Kontakte in der Plauderbox für Kinder. "Wenn ich jemanden besonders mag, bekommt er meinen persönlichen Kode, also nur für private Chats. Spanner filtere ich raus. Ich merke schnell, wenn ich mit einem 26-jährigen Mann chatte, der vorgibt, ein 16-Jähriger zu sein. Das liegt an der Wortwahl. Die Älteren sind außerdem nicht so schnell beim Chatten".

Solche Kontakte bleiben nicht auf den Computer beschränkt. Die vermeintlichen Jugendlichen versuchen, die Mädchen in der "echten" Welt zu treffen. Zwei 14-Jährige aus Enschede wurden voriges Jahr vergewaltigt, weil sie sich weigerten, mit 2 Männern, die sie über den Chatroom eines Musiksenders kennengelernt hatten, in einem Hotelzimmer Sex zu haben. Die Männer hatten im Chat vorgegeben, Piet und Karel zu heißen und 14 und 15 zu sein. In Wirklichkeit waren sie zehn Jahre älter.

"Ich schätze, sie suchten ein Abenteuer"

Der niederländische Kommunikationsexperte Jacob Koolwijk bezweifelt, dass die Mädchen tatsächlich nicht wussten, dass sie mit Erwachsenen verabredet waren. "Aus den Dossiers geht hervor, dass sie wochenlang gechattet hatten. Mit offenherzigen, erotisch prickelnden Gesprächen. Über Sex. Beide können nicht so naiv gewesen sein zu denken, dass Piet und Karel so jung schon so reden würden. Ich schätze mal, dass sie sich bewusst in ein Abenteuer stürzen wollten". Denn immerhin gingen sie mit auf's Zimmer, obwohl ihnen klar sein musste, dass Piet und Karel viel älter waren als sie behauptet hatten.

Jugendliche kennen ihre Grenzen nicht. Sie sind zu leichtgläubig und lassen sich blauäugig bei etwas Spannendem mitreißen - ohne die Gefahr zu sehen. Sexlüsterne nutzen diese Schwachstelle aus. In einem Chatkontakt sprechen sie frei über ihre romantischen Gefühle. Mädchen ohne Lebenserfahrung fallen leicht darauf herein. Sie sagen hinterher: "Er war so einfühlsam. Gar kein Macho wie die anderen". Wenn aber der Online-Freund nicht bekommt, was er will, nämlich Sex, droht er damit, die intimen Cybersexbilder, die er heimlich machte, ins Web zu stellen, sie den Eltern oder dem Schuldirektor zuzuschicken.

Immer mehr Opfer stellen Strafanzeige

In dieser Notlage wählen bedrohte Webcam-Opfer immer häufiger einen tapferen Ausweg: Sie beichten die Sünde. Das spiegelt die stark wachsende Zahl der Strafanzeigen wegen solcher Fälle in den Niederlanden wider. 2004 gab es 116, 2005 waren es 242 und 2006 schon mehr als 400. Bei einigen Verfahren sind inzwischen schwere Strafen verhängt worden. Mit Aufklärungskampagnen für Jugendliche sowie für ihre ahnungslosen Mütter und Väter versuchen die Niederlande, das Problem in den Griff zu bekommen. Die Konvention des Europarates soll dabei helfen.

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