In diesem Jahr debattiert der Bundestag über Sterbehilfe in Deutschland. Diese muss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt, neu geregelt werden. Hier erfahren Sie, was aktuell in Deutschland erlaubt ist und wie eine künftige Regelung aussehen könnte.
Sterbehilfe in Deutschland: Was ist erlaubt?
Die Richter am Bundesverfassungsgericht entschieden Anfang 2020: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. (...) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen."
Das Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist seitdem nicht mehr gültig. Betroffene, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte hatten dagegen geklagt. Wer Hilfe beim Selbstmord will, kann sie nun bekommen. Beihilfe zum Suizid kann bedeuten, ein Medikament mit tödlicher Wirkung zu beschaffen oder bereitzustellen. Einnehmen muss die Person, die sterben möchte, es allerdings selbst.
Erlaubt sind in Deutschland auch die indirekte und passive Sterbehilfe. Bei der passiven Sterbehilfe wird auf lebensverlängernde Maßnahmen wie zum Beispiel eine künstliche Beatmung verzichtet. Bei der indirekten Sterbehilfe geht es in erster Linie um Schmerzlinderung. Dabei wird in dieser letzten Lebensphase in Kauf genommen, dass der Patient als Nebenwirkung dieser Medikamente früher sterben könnte.
Ist aktive Sterbehilfe in Deutschland erlaubt?
Verboten bleibt in Deutschland die aktive Sterbehilfe, bei der ein anderer der Person, die sterben möchte, ein todbringendes Mittel verabreicht. Die aktive Sterbehilfe ist nur in vier Ländern erlaubt: in Luxemburg, Spanien, Belgien und den Niederlanden.
Wer kann assistierten Suizid in Deutschland in Anspruch nehmen?
Wichtig ist der freie Wille der Person. "Eine freie Suizidentscheidung setzt hiernach zunächst die Fähigkeit voraus, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können", entschied das Bundesverfassungsgericht. Damit werden beispielsweise Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz oder einer Depression von dieser Möglichkeit ausgeschlossen.

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Auch darf die Person nicht zu diesem Schritt gedrängt werden. Der Wunsch nach "medizinischer Assistenz beim Sterben" müsse freiverantwortlich gebildet sein und darf nicht auf äußeren Druck zurückgehen. Das Alter ist kein Kriterium. In Deutschland hat ein 27-Jähriger ebenso die Möglichkeit Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen wie eine 95-Jährige.
Wie viele Menschen in Deutschland nutzen die Beihilfe zum Suizid?
Anfang dieses Jahres stellten die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben", "Dignitas Deutschland" und "Sterbehilfe Deutschland" ihre Zahlen für das Jahr 2021 vor. Die Sterbehilfe-Organisationen halfen bei fast 350 Suiziden, berichtete die "Tagesschau". Der Verein "Sterbehilfe Deutschland" verzeichnete demnach einen starken Mitgliederanstieg. 2020, im Jahr der Urteilsverkündung aus Karlsruhe, war die Mitgliederzahl bereits auf 664 gestiegen. Im vergangenen Jahr verdoppelte sie sich dann auf 1201. Viele Menschen sind in den Sterbehilfe-Vereinen jedoch Mitglied, ohne deren Angebot tatsächlich zu nutzen.
Beratungen im Bundestag: Welche Regelungen könnten in Deutschland kommen?
Das Urteil des Bundesverfassungsgericht ist bald zweieinhalb Jahre alt. Die alte Regierung hatte es in der vergangenen Legislaturperiode jedoch versäumt, ein entsprechendes Regelwerk aufzustellen. Dabei schrieben die Karlsruher Richter, dass dem Gesetzgeber in Bezug auf die organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offenstehe, beispielsweise gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht dazu gerade mal ein Satz: "Wir begrüßen, wenn durch zeitnahe fraktionsübergreifende Anträge das Thema Sterbehilfe einer Entscheidung zugeführt wird."
"Noch mal leben": Bewegende Portrait-Fotos zeigen Sterbende vor und nach dem Tod

57 Jahre
Geboren am 19. Januar 1947
Erstes Porträt am 15. Januar 2004
Gestorben am 4. Februar 2004
Hamburg Leuchtfeuer Hospiz
Ende Juni beriet der Bundestag über die Reform der Sterbehilfe. Drei fraktionsübergreifende Entwürfe lagen vor. Der strengste kam von 85 Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD), der die geschäftsmäßige Sterbehilfe grundsätzlich wieder strafbar machen möchte. 45 Abgeordnete um Renate Künast (Grüne) machten sich für ein Modell stark, das stärkere Abklärungen fordert. So sollen zwei Ärzte unabhängig voneinander bezeugen, dass es einen nicht veränderlichen Sterbewillen gibt. Am liberalsten ist ein Entwurf von 68 Abgeordneten um Katrin Helling-Plahr (FDP), der ein bundesweites Netz an Beratungsstellen vorsieht. Nach dem Beratungsgespräch soll eine Frist von zehn Tagen gelten.
Alle drei Initiativen wurden im Anschluss an die Debatte gemeinsam mit einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag in den Rechtsausschuss überwiesen. Er trägt den Titel "Suizidprävention stärken und selbstbestimmtes Leben ermöglichen" und handelt – wie der Name schon sagt – vor allem von Aufklärung und Prävention bei Suizid. Es heißt darin unter anderem: "Der assistierte Suizid darf nicht als Ausgleich anderer Versorgungsdefizite dienen. Diesen Effekt gilt es zu verhindern. Um eine solche Schieflage gar nicht erst entstehen zu lassen, muss die spezifische sowie die geschlechtsspezifische und altersbezogene Unterstützung für suizidgefährdete Menschen ausgebaut werden."
Eine Entscheidung, wie die Sterbehilfe in Deutschland künftig geregelt werden soll, könnte im Herbst fallen.
Das Thema Sterbehilfe wird auch im neuen stern-Podcast "Die Suche nach dem guten Tod" behandelt. In sieben Folgen begibt sich Host Lukas Sam Schreiber auf diese Suche für seine Mutter Claudia, die an Demenz erkrankt ist. Der Podcast "Die Suche nach dem guten Tod" erscheint jeden Donnerstag bei stern.de sowie bei AudioNow, Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music und auf allen gängigen Podcast-Plattformen.
Web-App "Der letzte Tag"
Der stern-Podcast "Die Suche nach dem guten Tod" wird von der Körber-Stiftung unterstützt. Die Stiftung möchte den Themen Sterben und Tod das Tabu nehmen und ermutigen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Dazu hat sie die Web-App "Der letzte Tag" entwickelt. Was wäre, wenn heute der letzte Tag Ihres Lebens wäre? Was möchten Sie noch erleben? Wen möchten Sie treffen? Auf derletztetag.de können Sie Ihren fiktiven letzten Tag planen und Ihre Gedanken teilen – und so herausfinden, was im Leben wirklich wichtig ist.
Rat und Hilfe
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter (0800) 1110111 und (0800) 1110222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail oder Chat ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
Quellen: Bundesverfassungsgericht, Podcast "Die Suche nach dem guten Tod", Koalitionsvertrag, Bundestag, NDR, Tagesschau (I), Tagesschau (II), Caritas