Olivia wurde nur sieben Jahre alt und verbrachte die meiste Zeit ihres kurzen Lebens in dem Glauben, unheilbar krank zu sein. Offenbar hatte das Mädchen aus dem US-Bundesstaat Colorado aber überhaupt keine ernsthafte Krankheit. Für ihren Tod im Jahr 2017 ist nach Ansicht der Ermittler und einer sogenannten Grand Jury ihre eigene Mutter verantwortlich, die zudem die schlimme Krankheit des Kindes nur vorgetäuscht haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte den Geschworenen die Ergebnisse der einjährigen Untersuchung gegen die 41-Jährige vorgelegt, woraufhin die Grand Jury vergangene Woche die Anklage gegen die Frau zuließ. Der inzwischen festgenommenen Mutter wird Mord an ihrer Tochter vorgeworfen sowie Kindesmissbrauch und die Erschleichung von mehr als einer halben Million US-Dollar an Krankenkassenleistungen.
Zahlreiche Medien hatten damals über den angeblichen Kampf des Kindes gegen eine seltene, unheilbare Krankheit berichtet. Ihre Mutter hatte unter anderem mithilfe der "Make-A-Wish"-Stiftung eine Liste der letzten Wünsche des Mädchens vor dessen Tod abgearbeitet. So durfte sie zum Beispiel im Februar 2017 als "Bat Princess" verkleidet in einem Behördengebäude in Denver Bösewichter besiegen. Die städtische Polizei nahm das angeblich kranke Mädchen zwei Monate danach in Uniform einen Tag mit auf Verbrecherjagd. Stets dabei: ihre besorgt wirkende Mutter, die Sätze sagte wie: "Sie könnten mir alles Geld der Welt geben und ich würde es Ihnen zurückgeben, nur um das noch heute einmal anschauen zu können."
Mutter brachte Tochter bereits als Kleinkind zum Arzt
Olivias angebliche Krankheitsgeschichte begann den US-Medien zufolge im Jahr 2013, nachdem die Mutter mit ihren zwei Töchtern von Texas nach Denver gezogen war. Der Mutter zufolge soll ihr Kind an mehreren seltenen Krankheiten gelitten haben, unter anderem Autismus und der sehr seltenen Neurogastrointestinalen Enzephalomyopathie. Davon sind weltweit nur rund 100 Fälle bekannt. Diese Krankheit greift vor allem den Darmtrakt an.
Kurz vor ihrem Tod im August 2017 war Olivia laut BBC zwischenzeitlich mit einer Magensonde ernährt worden. Ihre Mutter habe dann bei den Ärzten beantragt, alle medizinischen Maßnahmen einzustellen und eine "Nicht Wiederbeleben"-Verordnung für das Kind unterzeichnet. Die Lebensqualität der Kleinen sei "zu schlecht", zitieren mehrere US-Medien aus der diese Woche veröffentlichten Anklageschrift. Wenige Wochen später sei das Kind gestorben. Damals wurde demnach Darmversagen als offizielle Todesursache eingetragen, zahlreiche Medien berichteten über das tapfere Mädchen, dass den angeblichen Kampf gegen ihre Krankheit verloren hatte.
Erst ein Jahr später begann die Mutter den Berichten zufolge dann die ältere Schwester von Olivia zu Ärzten zu schleppen. Sie habe behauptet, diese sei in der Vergangenheit in Texas wegen eines Krebsleidens behandelt worden und habe starke "Knochenschmerzen". Ein Arzt sei misstrauisch geworden und habe herausgefunden, dass es keine Krebsbehandlung gegeben hatte.
Polizei ermittelte ab 2018
Wenig später habe Polizei Ermittlungen eingeleitet. Dabei sei herausgekommen, dass die ältere Schwester gesund sei und nur von ihrer Mutter erzählt bekommen habe, schwer krank zu sein. Diese Entwicklung habe neue Zweifel am Tod der siebenjährigen Olivia aufgeworfen, woraufhin die Kinderleiche exhumiert und untersucht worden sei. Dabei hätte der Gerichtsmediziner keine Anzeichen für die beschriebenen Krankheiten finden können. Auch die Todesursache Darmversagen sei bei der Untersuchung nicht bestätigt worden. Seitdem werde ihr Tod als ungeklärt geführt.
Weitere Ermittlungen hätten dann ergeben, dass viele Ärzte damals angezweifelt hatten, dass es Olivia so schlecht ging, wie von ihrer Mutter behauptet. Ein Arzt soll ihr mehrfach gesagt haben, sie solle ihrer Tochter keine Medikamente gegen Krampanfälle geben, weil diese gar keine entsprechende Erkrankung habe. Mindestens drei behandelnde Ärzte waren laut den Ermittlern "schockiert" und "überrascht", als man ihnen sagte, dass das Mädchen nicht mehr lebte, weil keine der behandelten Krankheiten lebensbedrohlich gewesen sei.
Als besonders verdächtig listen die Ermittler den Berichten zufolge auf, dass die Frau beim Verhör von sich aus das sogenannte Münchhausen-Stellvertretersyndrom erwähnte. Bei dieser sehr seltenen psychischen Störung erfinden, übersteigern oder verursachen Menschen bei anderen Krankheiten oder deren Symptome. Die Opfer sind zu allermeist Kinder, die Täter fast ausschließlich Frauen, in der Regel die Mütter. Meist geht es diesen darum, sich im Anschluss als besonders liebe- und aufopferungsvolles Elternteil zu inszenieren. Die 41-Jährige im Fall aus Denver soll – ohne vorher darauf angesprochen worden zu sein – gesagt haben: "Das war bei mir niemals der Fall, da können Sie jeden Fragen, der mit mir das Ganze mit Olivia durchgestanden hat."
Neben dem Kindesmissbrauch und den beiden Mordanklagen – Colorado hat einen speziellen, zusätzlichen Anklagepunkt für den Mord an Kindern unter zwölf Jahren durch Personen, denen sie vertraut haben – wirft die Staatsanwaltschaft der Mutter unter anderem Diebstahl, Wohltätigkeitsbetrug und Urkundenfälschung vor. Wo ihre ältere Tochter aktuell lebt, geht es den Berichten nicht hervor. Auch der Prozessbeginn ist noch nicht terminiert.
Quellen: Pressemitteilung Polizei / CNN / BBC / "The Guardian" / "Denver Post" / "CBS Local"