Die Lage an dem Unglückstanker im Hamburger Hafen ist komplizierter als erwartet: Aus der "ENA 2" ist schätzungsweise bereits mehr als die Hälfte der 960 Tonnen Schwefelsäure ausgelaufen, wie Einsatzleiter Peer Rechenbach mitteilte. Bei dem Rest der Ladung könne Explosionsgefahr bestehen, falls sich die Säure mit Wasser vermischt habe. Die Bergungsarbeiten könnten noch bis Montag dauern. Größere Fischsterben habe es zuletzt nicht mehr gegeben, allerdings befänden sich in dem betroffenen Hafenbecken keine Fische mehr, sagte Werner Marnette, Chef des Eigentümers Norddeutsche Affinerie.
Bergung verzögert sich
Am Morgen war die erste gefährliche Aktion an dem gekenterten Schwefelsäure-Tanker ohne Zwischenfälle geglückt. Das kieloben liegende Schiff war mit einem Schwimmkran leicht angehoben und gesichert worden, anschließend konnten Taucher die Aufbauten unter Wasser inspizieren. Die vorübergehenden Evakuierungsmaßnahmen in einem Umkreis von einem Kilometer wurden zunächst aufgehoben.
Schweflige Säure, wie sie bei der Vermischung von Schwefelsäure und Wasser entsteht, ist nach Expertenangaben viel aggressiver als reine Schwefelsäure. Sie könne den Stahlmantel der Tanks angreifen, wobei sich explosiver Wasserstoff bilden könne. Deshalb müsse an dem Schiff sehr vorsichtig gearbeitet werden. Für den frühen Freitagmorgen werde ein weiterer Schwimmkran erwartet. Die eigentliche Bergung werde vermutlich sechs Stunden dauern und könne nur bei Hochwasser erfolgen, hieß es. Laut Feuerwehr kann jede Bewegung des Havaristen gefährlich sein. "Wir wollen nicht durch Schnelligkeit Risiken provozieren", sagte Rechenbach.
Hintergrund: Schwefelsäure
Schwefelsäure ist eine der wichtigsten anorganischen Säuren. Die farblose, stark ätzende Flüssigkeit zerstört in hoher Konzentration organisches Gewebe. Wenn sie in die Augen gelangt, kann Schwefelsäure Blindheit verursachen. Die Säure wird unter anderem bei der Aufbereitung von Kupfer sowie bei der Herstellung von Waschmitteln, Kunststoffen, Farben und Düngemitteln verwendet. Gelangt Schwefelsäure in Gewässer, werden die darin lebenden Organismen geschädigt, bei entsprechender Menge sterben die Fische. In der Natur kann Schwefelsäure in geringer Konzentration nach Vulkanausbrüchen in den Wolken auftreten.
Keine Gefahr für die Elbe
Ob die 430 Tonnen Schwefelsäure schon gleich nach dem Unfall am Montagabend oder erst nach und nach austraten, blieb zunächst unklar. Im betroffenen Hafenbecken gebe es einen pH-Wert von 3, normal seien 7, sagte Marnette. Die Elbe sei aber nicht gefährdet: Schon vier Kilometer weiter vor Blankenese, seien keine auffälligen Werte mehr gemessen worden.
Nach dem Zusammenstoß des Tankers "ENA 2" mit einem Containerschiff hatte es ursprünglich geheißen, dass nur geringe Mengen der Chemikalie ausgetreten seien. Elf Menschen erlitten am Montag Atemwegsverätzungen, zahlreiche Fische starben. Offenbar hatte der Kapitän, bei dem 2,1 Promille Alkohol im Blut festgestellt wurden, den Unfall verursacht. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft oder eine hohe Geldstrafe wegen Gefährdung der Schifffahrt. Marnette räumte ein, dass der Kapitän schon im vergangenen Jahr Mitarbeitern wegen seiner Alkoholprobleme aufgefallen sei. Für die Zukunft kündigte er schärfere Kontrollen an.