Herr Rückert, treiben Sie Sport?
Ich spiele Tennis und jogge regelmäßig. Golfen macht mir großen Spaß, obwohl ich nicht besonders gut bin.
Warum schaffen es so viele Menschen nicht, sich mehr zu bewegen?
Weil sie es sich bloß wünschen. Doch der Wunsch ist ein Wille, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt, hat der Schriftsteller Robert Musil gesagt. Soll heißen: Wer sich zu mehr Sport motivieren will, muss aufhören, nur davon zu träumen und stattdessen anfangen, einen realistischen Bewegungsplan zu entwickeln, etwa so: dienstags und donnerstags radle ich zur Arbeit, statt den Bus zu nehmen. Sonntags schaue ich den Tatort nicht vom Sofa aus, sondern auf dem Laufband im Fitness-Studio.
Welche ist die größte Hürde, die man auf dem Weg vom Couch-Potato zum Sportler bewältigen muss?
Die eigenen Gewohnheiten zu ändern. Jahrelang geübte Abläufe prägen unseren Alltag und sind sehr widerstandsfähig gegen Veränderungen. Sehen Sie sich das menschliche Gehirn an! Die Gewohnheiten sind in tiefen Schichten verankert, im so genannten limbischen System. Die Hirnrinde, wo unsere guten Vorsätze abgelegt werden, ist hingegen nur 2,5 Millimeter dünn. Was wir uns vornehmen, bleibt buchstäblich an der Oberfläche. Wer jedoch seine Gewohnheiten ändern will, muss in tiefste Regionen vordringen.
Wie kann das gelingen?
Die Motivationsforschung zeigt, dass der Mensch nur diejenigen Dinge regelmäßig tut, die er mit überwiegend guten Gefühlen verbindet. Man sollte also versuchen, beim Sport möglichst schöne Gefühle zu erleben. Suchen Sie sich eine Sportart, die Ihnen wirklich Freude macht. Dann wird das positive Gefühl, das Sie dabei empfinden, zu einer Art Trägerrakete, die die guten Vorsätze direkt ins Hirninnere befördert und dort verankert. Daraus entsteht langsam eine neue Gewohnheit – nämlich die, sich oft und gern zu bewegen. Außerdem ist es wichtig, das hirneigene Belohnungssystem zu managen. Der Mensch ist eigentlich auf kurzfristiges Vergnügen aus: Er haut sich lieber sofort aufs Sofa, als den positiven Effekt eines Schwimmbadbesuchs abzuwarten. Dennoch sind wir fähig, Belohnungen bis zu einem gewissen Grad aufzuschieben. Kultivieren Sie die Vorfreude, nach dem Sport stolz und gut durchblutet nach Hause zu gehen. Das hilft im Vorfeld, sich aufzuraffen.
Welche Rolle spielt das soziale Umfeld für denjenigen, der mehr Sport machen will?
Untersuchungen zeigen, dass regelmäßige Bewegung leichter in Gruppen gelingt. Wer sich einer Laufgruppe anschließt oder einen festen Tennispartner hat, wird den Sport nicht so schnell aufgeben wie jemand, der allein loszieht. Die Gruppe baut positiven Druck auf, schafft Verbindlichkeit, bringt Beachtung und Zuwendung. In vielen Ratgebern steht, man solle der Familie, Freunden und Kollegen von seinen Sportplänen erzählen, um soziale Kontrolle zu erzeugen. Ich halte das für wenig wirkungsvoll. Denn einem Unbeteiligten kann man leicht irgendeine Ausrede auftischen, warum der Sport mal wieder ausfiel. Die Jogging-Kumpels jedoch trickst man nicht so einfach aus: Die wissen, dass das Wetter perfekt war oder dass man auch mit einem leichten Schnupfen laufen kann.
Die Motivationsforschung zeigt auch, dass jeder Mensch ganz persönliche Gründe finden muss, um sein Verhalten dauerhaft zu ändern. Wie findet man diese Gründe?
Durch eine sorgfältige Innenschau. Nehmen Sie ein Blatt Papier, einen Stift und gönnen sich eine halbe Stunde absolute Ruhe. Notieren Sie alles, was Sie zu mehr Sport motiviert. Da fallen einem zunächst die üblichen Allgemeinplätze ein: Ich will gesünder leben, Krankheiten vorbeugen und so weiter. Erst danach dringt man zu persönlicheren Gründen vor. Etwa: Ich will eine Vorhand wie vor 20 Jahren. Ich möchte gemeinsam mit meinem Sohn auf dem Fußballplatz stehen und dort eine gute Figur machen. Ich will von anderen Müttern für meinen flachen Bauch bewundert werden. Nur wer seinen ganz persönlichen Motor für mehr Bewegung findet, wird durchhalten.
Trotzdem gibt es immer wieder Motivationskrisen.
Ja, die sollte man fest einplanen. Es ist normal, sich hin und wieder schlapp und unmotiviert zu fühlen. Der Muskelkater schmerzt oder der Sport ist schon nach wenigen Wochen langweilig geworden. Vielleicht ist man auch enttäuscht, dass sich noch kein Sixpack am Bauch abzeichnet wie anfangs erhofft. Sport ist aber kein reines Glücksversprechen, sondern darf auch manchmal blöd sein: Die Tennishalle ist kalt, die Joggingstrecke matschig, der Schwimmpartner schlecht drauf. That’s life! Rechnen Sie mit solchen Einbrüchen. Und wappnen sich dagegen, indem Sie sich Ihre persönlichen Motivationsquellen und bisherigen Erfolge ins Gedächtnis rufen. Wenn das in der akuten Situation nicht hilft, seien Sie gnädig mit sich selbst und hören Sie für dieses Mal auf mit dem Sport. Anfänger verhalten sich häufig nach dem Motto: Ganz oder gar nicht! Wenn sie einmal schlapp machen, schmeißen sie gleich das Handtuch. Entscheidend ist aber, hin und wieder Ausnahmen zuzulassen, ohne insgesamt vom Kurs abzuweichen. In der Ernährungswissenschaft gibt es das Prinzip der flexiblen Kontrolle: kein Radikalverzicht auf Süßes und Fettes, sondern in Maßen sündigen. So ist es auch beim Sport: Sie dürfen faulenzen – in Maßen.
Kann es, abgesehen vom "inneren Schweinehund", tiefer liegende Gründe für eine Blockade gegen Sport geben?
Manche Menschen haben unbewusst Angst vor Veränderung. Sie wünschen sich zwar einen sportlicheren, attraktiveren Körper, fürchten sich aber davor, die neue Attraktivität auch leben zu müssen. Das hat viel mit Sexualität zu tun: Wer attraktiver wird, erzielt eine größere Wirkung beim anderen Geschlecht. Das kann erwünscht sein, aber auch Konflikte bringen. Auf einmal stellt das andere Geschlecht höhere Erwartungen! Wie soll man die jemals einlösen? Da bleiben viele Leute lieber so unsportlich, wie sie sind. Speck schützt ja bekanntlich vor Erwartungen und Enttäuschungen.
Warum tut Sport nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut?
Bewegung steigert die Produktion von Neurotransmittern im Gehirn. Wer trainiert, schüttet Glückshormone wie Endorphin und Serotonin aus. Der Effekt wird sehr erfolgreich in der Therapie von Depressionen genutzt. Selbst schwer Depressiven hilft eine Kombination aus Medikamenten und Jogging besser als nur die Behandlung mit Arzneimitteln oder Psychotherapie. Sport wirkt antidepressiv, auch bei psychisch Gesunden. Bei regelmäßigem Lauftraining stellt sich manchmal sogar das "runner’s high" ein, der Rausch des Läufers, der von körpereigenen Schmerzstillern und Glücklichmachern überschwemmt wird. Ich habe das schon selbst erlebt. Das Hoch hält nur wenige Minuten an, aber danach macht sogar der Muskelkater richtig froh.