"Putins Maginot-Linie" Russen bauen altertümliche Abwehrstellung – Historiker sieht darin eher psychologischen Effekt

  • von Janis Peitsch und Martin Morcinek
Drohnenaufnahmen: Russen errichten langen Verteidigungswall in Luhansk
Drohnenaufnahmen: Russen errichten langen Verteidigungswall in Luhansk
Russische Kämpfer legen in der Region Luhansk eine Verteidigungsstellung an, die an die Zeit der Weltkriege erinnert. Historiker Christian Hartmann sieht in solchen Verteidigungsbauten eher einen psychologischen Effekt.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei ntv.de.

Die russische Nachrichtenagentur "Riafan" hat ein Video veröffentlicht, das den Bau eines russischen Verteidigungswalls in der ukrainischen Region Luhansk dokumentiert. Die zusammengeschnittene Drohnenaufnahme zeigt ausgehobene Gräben sowie lange Reihen von Panzersperren aus Beton auf einem offenen Feld.

Zu dem Video schreibt die Agentur auf Telegram: "So wird die Verteidigungslinie in der Volksrepublik Luhansk aufgebaut. Höckerlinien, Gräben, Schützengräben. Alles nach Militärwissenschaft. Die technischen Einheiten der Gruppe Wagner sind im Einsatz." Auch der frühere russische Geheimdienstoffizier und Separatistenführer Igor Girkin teilte das Video auf Twitter und betitelte den Bau als "Putins Maginot-Linie".

Gründe für Errichtung eines Walls in der Region Luhansk nicht ganz klar

Das Datenteam von ntv.de konnte anhand von Satellitenaufnahmen den genauen Standort der Stellung bestimmen. Demnach befindet sich die Verteidigungslinie am westlichen Ortsrand der Kleinstadt Hirske, die etwa 25 Kilometer südlich von Lyssytschansk liegt. Wie Bilder der europäischen Beobachtungssatelliten Sentinel belegen, müssen die Schanzarbeiten zwischen dem 25. September und dem 5. Oktober stattgefunden haben.

Warum der Wall errichtet wurde, ist nicht ganz klar, denn in der Region sind Moskaus Verbände eigentlich in der Offensive. Hinweise auf ukrainische Vorstöße in dieser Region sind bisher nicht bekannt. Die im Video und auf den Satellitenbildern erkennbaren Anlagen liegen aktuell weit hinter der Frontlinie. Etwa 30 Kilometer südwestlich läuft derzeit der russische Angriff auf Bachmut. Möglich, dass die Anlage als Auffangstellung dienen soll. Denkbar wäre aber auch eine Funktion als Flankensicherung für die Vorstöße Richtung Westen.

Fürchten die russischen Wagner-Söldner einen ukrainischen Gegenangriff? Oder bereitet sich die russische Seite mit befestigten Ortschaften auf einen langen Stellungskrieg im Winter vor? Die auf den Satellitenbildern sichtbaren Anlagen bei Hirske scheinen bisher vor allem der Absicherung des westlichen Ortsrandes zu dienen. Graben und Höckerlinien ziehen sich in weitgehend gerader Linie über eine Distanz von knapp zwei Kilometern quer durch offenes Ackergelände und Feldraine.

"Eher eine propagandistische und psychologische Bedeutung für die Verteidiger"

Der Historiker Christian Hartmann äußert sich skeptisch über die Wirksamkeit solch starrer Verteidigungsanlagen, gerade im heutigen Drohnenzeitalter. "Solche altertümlichen Bauten haben eher eine propagandistische und psychologische Bedeutung für die Verteidiger", sagt der Leiter des Forschungsbereichs Einsatz am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im Gespräch mit ntv.de. "Generell sind Hindernisse immer gut. Sie können nicht nur dabei helfen, einen Angriff abzuwehren, sondern ihn auch zu kanalisieren." Entscheidend für das Halten einer solchen Linie seien aber die zur Verfügung stehenden Reserven des Verteidigers.

Den historischen Vergleich mit der französischen Maginot-Linie hält Hartmann für überzogen und für ein ungewolltes Eigentor. Der Bau des Verteidigungssystems habe sich damals über Jahre hingezogen und Unsummen verschlungen. "Dennoch hat es nur wenige Wochen gedauert, bis Frankreich von der Wehrmacht besetzt war", so der Historiker. Auch andere Verteidigungsstellungen im Zweiten Weltkrieg konnten die Angreifer am Ende überwinden. Als Beispiele nennt Hartmann den Atlantikwall, die Stalin-Linie und den Westwall.

key, ntv.de

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