Isoliert, auf engstem Raum, 700 Meter tief unter der Erde: Seit rund drei Wochen sind 33 Männer in der chilenischen Atacama-Wüste in einer eingestürzten Miene eingeschlossen. Schlimmstenfalls bis Weihnachten - so die Hiobsbotschaft - kann sich ihre Rettung noch hinziehen. Doch Traumaexperte Georg Pieper ist zuversichtlich, dass die Männer die körperlichen und nervlichen Strapazen durchstehen und bis zu ihrer vermutlichen Rettung in vier Monaten durchhalten werden. "Ich erlebe immer wieder, dass Menschen, die gemeinsam Extremsituationen erleben, ganz starke zusätzliche Kräfte der Gemeinsamkeit entwickeln", sagt er. Gerade bei Bergleuten hat Pieper diese starke Solidarität beobachtet. "Insofern halte ich die vier Monate für machbar."
Pieper, der seit 29 Jahren als Psychotherapeut arbeitet, wurde 1988 als erster deutscher Psychologe hinzugezogen, als sechs Bergleute drei Tage lang in einem Stollen im hessischen Borken verschüttet waren. Der Traumaexperte hält es für richtig, dass die 33 chilenischen Kumpel nicht mehr über ihr weiteres Schicksal im Ungewissen gelassen wurden. "Man muss mit offenen Karten spielen", sagt er. Der Mensch sei unglaublich anpassungsfähig. Dass die Gruppe so groß ist, ist Pieper zufolge eine weitere Chance. Einige der Kumpel würden "ihre eigene Stärke daraus beziehen, anderen zu helfen". Sie seien für die Moral der Gruppe unersetzlich.
Geregelter Tagesablauf und Rituale
Todesangst habe jeder der Eingeschlossenen, denn niemand wisse, ob sie gerettet werden, sagt Pieper. Da helfe es, die Bergleute offen über den Stand der Arbeiten zu informieren. Auch ein geregelter Tagesablauf sei wichtig: "Es müssen Rituale eingeführt werden, zum Beispiel feste Essenszeiten, Gebete, Meditationen oder Sport." Darüber hinaus sei der Kontakt mit der Außenwelt wichtig: "Sie könnten ein Fußballspiel zumindest hören, sie sollten Nachrichten aus der Welt erhalten und Feiertage feiern", sagt Pieper. Es müsse "so viel Normalität herrschen wie möglich".
Zu einem großen Problem könnte die Sorge um Angehörige werden, meint der Traumaexperte: So habe sich ein Bergmann aus Borken unter Tage immens um seine schwangere Frau gesorgt. Das sei eine ungeheure Belastung, die durch Kontakt mit der Familie gelindert werden könne. Helfen könnte in jedem Fall ein psychologisches Coaching - vor allem in der Zeit nach der Rettung: "Da ist eine gute psychologische Betreuung ganz entscheidend, denn es können sich Phobien und andere sogenannte Traumafolgestörungen entwickeln." Dazu zählen Depressionen oder eine Klaustrophobie. Therapiegespräche könnten auch verhindern, dass sich die Gruppe nach der Bergung zerstreitet.
Die Borkener Bergleute hat Pieper über fünf Jahre eng begleitet, gemeinsam mit ihnen ist er erstmals wieder in den Berg eingefahren. Noch immer ist er mit ihnen in Kontakt. "Das ist eine Erfahrung, die zusammenschweißt", sagt er.
In Chile sollen Experten der US-Raumfahrtbehörde Nasa spätestens zu Wochenbeginn an der Unglücksstelle eintreffen, um die Helfer vor Ort zu unterstützen. Die chilenische Regierung bat die Nasa um ihren Rat, da die Situation der Bergleute vergleichbar sei mit Astronauten, die monatelang in Weltraumstationen ausharrten.