Entstehung des Lebens: Replikatoren - die heimlichen Herrscher
Wir sehen die Evolution zumeist aus der Perspektive des Individuums. Getreu Darwins Theorie survival of the fittest haben wir bei der natürlichen Auslese der Bestangepassten immer Lebewesen vor Augen, die ums nackte Überleben kämpfen. Eine Theorie hat hier in den letzten Jahren für einigen Wirbel gesorgt, weil sie die Evolutionstheorie von einem neuen radikalen Standpunkt betrachtet: Nicht das Individuum ist die kleinste Einheit der Evolution, nein, es ist das einzelne Gen, welches sich fortpflanzt. Lebewesen, ob Mensch, Fisch, Insekt, Säugetier, Pflanze oder Einzeller, sind nichts weiter als "Behälter", die nur einem einzigen Zweck dienen: die Gene von einer Generation in die nächste zu hieven.
Das Erbgut selbst stellt dabei ein Kollektiv aus vielen Genen dar, das sich im Laufe der Evolution zusammengefunden hat um miteinander zu kooperieren. Dass Lebewesen, oder salopp gesagt: die Überlebens- und Fortpflanzungsmaschine, ist lediglich ein Konstrukt der Gene und dient nur dem Nutzen der Gene des Kollektivs. Denn letztlich profitieren sie alle vom Fortpflanzungserfolg der Überlebensmaschine und werden in die nächste Generation weiter gegeben.
Wichtigster Vertreter der sogenannten Replikator-Theorie ist Richard Dawkins, Zoologe an der renommierten Universität Oxford. Basierend auf bereits vorher formulierten Gedanken und Theorien fasste er in seinem Buch "Das egoistische Gen" Ende der Siebzigerjahre die Replikator-Theorie erstmals in ihrer ganzen Schärfe und ihrem ganzen Ausmaß zusammen.
Am Anfang war das Molekül
Die Replikator-Theorie geht davon aus, dass die Initialzündung des Lebens in der berühmten Ursuppe entstand, als sich erstmals ein Molekül bildete, welches in der Lage war, Kopien von sich selbst herzustellen. Das Replikator-Molekül verbreitete sich zunehmend in den Urozeanen. Hinter der Selbstreproduktion des Moleküls stand in keinster Weise eine treibende Kraft oder gar eine zielgerichtete Aktion. Es geschah einfach.
Irgendwann traten bei den Kopierprozessen Fehler auf. Der Replikator mutierte. Ein leicht abgeändertes Replikator-Molekül entstand, welches sich nun seinerseits vervielfältigte und neben der Urform ausbreitete. Kopierfehler traten im Laufe der Zeit immer wieder auf und so bildeten sich die verschiedensten Varianten des Urmoleküls, die letztlich alle miteinander in Konkurrenz um die Ressourcen der Ursuppe (Raum, Molekülbausteine, Energie) traten. Die Evolution begann.
Aber nochmals: Der Begriff "Konkurrenz" ist so zu verstehen, dass keine gerichtete Aktion hinter der Ausbreitung der Moleküle stand. Entscheidend für das Überleben der "nackten" Moleküle war lediglich, wie genau, wie oft und wie schnell jedes einzelne sich selbst kopierte. Wer hier am effizientesten war, der hatte letztlich die Nase vorn, sprich: der konnte sich am schnellsten verbreiten.
Evolutionäres Aufrüsten
Irgendwann schlossen sich mehrere dieser selbst-reproduzierenden Moleküle zusammen. Und irgendwann arrangierten diese Moleküle erste Schutzmechanismen, die ihnen entscheidende Vorteile einbrachten. Einer der ersten Quantensprünge war, dass sie sich mit einer Membran umgaben und eine abgeschlossene Einheit bildeten - die Zelle entstand.
Kollektive aus mehreren Replikatoren - mittlerweile könnte man auch schon von Genen sprechen - entstanden und kooperierten bei der Bildung von immer ausgeklügelteren Schutzmechanismen. Gut harmonierende Gen-Kollektive bildeten bessere Defensivstrategien und je besser und erfolgreicher dieser Schutz war, desto erfolgreicher verbreitete sich das Gen-Kollektiv... und letztlich das einzelne Gen im Kollektiv.
Die Zellen differenzierten sich zunehmend aus und wurden komplizierter: es entstanden der Zellkern und die Kompartimente (vom Zellkern, dem Träger des Erbguts und den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zelle, vermutet man, dass sie früher selbst einmal eigene Zellen waren, die in andere Zellen einwanderten und mit diesen eine Symbiose eingingen). Irgendwann taten sich einzelne Zellen zusammen - Organismen aus mehreren Zellen begannen sich zu formieren. All dies geschah von selbst, ohne Intention - es war eine Folge der einfachen Regeln in der Welt der Replikatoren.
Fast alles Leben auf der Erde beruht auf dem DNA-Molekül als dem Träger der Erbinformation (mit Ausnahme einiger Viren, deren Erbgut aus RNA besteht). Es ist aber unwahrscheinlich, dass die ersten Replikatoren komplizierte DNA- oder RNA-Moleküle waren. Woraus diese ersten sich selbst replizierenden Moleküle damals bestanden, ist noch ein großes Rätsel.