Geschichte Als die Niederländer ihren Ministerpräsidenten gegessen haben sollen

Niederlande: Johan de Witt wird von einem wütenden Mob attackiert
Johan de Witt, Ratspensionär der Niederlande, wird 1672 von einem wütenden Mob attackiert
© Ken Welsh / Imago Images
Er stärkte die Wirtschaft und sorgte für Frieden, bis die Niederländer ihr Regierungsoberhaupt zerstückelten und angeblich verspeisten. Nur ein Schauermärchen, oder?

Vielleicht ist Ihnen in den sozialen Medien auch schon einmal diese merkwürdige Karte untergekommen. Sie soll zeigen, welche Nationen schon einmal einen ihrer Ministerpräsidenten gegessen haben – und welche nicht. Nur ein einziges Land ist rot markiert: die Niederlande.

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Vielleicht haben Sie sich das angeschaut, die Stirn gerunzelt und sich gefragt, was genau da bei unseren niederländischen Nachbarn los war? Das ging uns ähnlich – darum haben wir uns einmal mit der Geschichte dahinter befasst.

Als die Niederlande ihren Ministerpräsidenten lynchten

Die gute Nachricht: Die Niederländer haben schon lange keinen ihrer Politiker mehr zum Abendessen verspeist. Der Fall, um den es geht, liegt mehrere hundert Jahre zurück. Und er betrifft einen Mann namens Johan de Witt – ein kluger Kopf aus einer angesehenen Familie, studierter Jurist und passionierter Hobby-Mathematiker.

De Witt wurde 1625 in Dordrecht geboren und wuchs in einer Zeit auf, in der die Niederlande nicht von einem Monarchen regiert wurden, sondern von einer Ständeversammlung. Er war schon früh in die Politik seiner Heimatprovinz Holland involviert und stieg durch sein umsichtiges, nüchternes Handeln – und auch seine guten familiären Verbindungen – schnell immer höher auf.

Wer war Johan de Witt?

Üblicherweise hatten damals sogenannte Statthalter die Regierungsgeschäfte in der Hand. Von 1650 bis 1672 besetzten einige der wichtigsten Provinzen dieses Amt aufgrund von politischen Konflikten aber nicht. De Witt wurde im Jahr 1653 zum Ratspensionär der Provinz Holland ernannt – und hatte damit de facto das höchste Amt des Landes inne. 

Der damals erst 25 Jahre alte Mann hatte klare Ziele für die Republik der Vereinigten Niederlande: Er wollte die Wirtschaft stärken und stark halten, die Vorreiterrolle der wohlhabenden Provinz Holland erhalten und dafür sorgen, dass die Familie der Oranier, die regelmäßig die niederländischen Statthalter gestellt und versucht hatte, ihre Machtposition erblich zu machen, in ihre Schranken gewiesen wird. Er wollte auf keinen Fall in Kriege involviert werden, da diese seiner Meinung nach die Wirtschaft schädigten.

Klare Ziele, geschickte Politik

Zwei dieser Ziele spielten damals zusammen: Die Niederlande befanden sich noch im Krieg mit England. Und die Engländer waren nur bereit, Frieden zu schließen, wenn die Niederländer das Geschlecht der Oranier von jeglichen Machtpositionen ausschlössen. Der Grund dafür: Der Oranier-Fürst Wilhelm III. unterstützte die Familie der Stuarts in Großbritannien – die erklärten Gegner des damaligen englischen "Lordprotektors" Oliver Cromwell.

Auch durch den Einfluss hochrangiger Familienangehöriger konnte de Witt diesen "Seklusionsakt" gegen die Oranier durchsetzen und so den Frieden mit England herbeiführen. Ein großer politischer Erfolg – der ihm ab da allerdings den Hass des Oranier-Geschlechts und all seiner Anhänger bescherte.

Der mächtigste Mann der Niederlande

Zwanzig Jahre lang hatte Johan de Witt von da an die Geschicke des Landes in seinen Händen. Er schaffte es, die Wirtschaft zum Aufblühen zu bringen, den Handel zu fördern, die Kaufleute zu unterstützen. Um für weitere Konflikte mit England gewappnet zu sein und bei Bedarf die niederländischen Handelsschiffe zu schützen, baute er eine imposante Flotte auf. Alles schien ihm zu gelingen.

Doch irgendwann scheinen die Niederländer seiner müde geworden zu sein. Und auch das Glück, das de Witt bis dahin meist hatte, kam ihm abhanden. Das Jahr 1627 wurde zu einem schwarzen Jahr für die Niederlande – und für den zu diesem Zeitpunkt 46 Jahre alten Ratspensionär.

De Witts Glückssträhne endete

Die französische Armee marschierte in die Niederlande ein, und da bisher viel Geld in die Seeflotte, aber kaum Geld in die Bodentruppen investiert worden war, hatte man ihr wenig entgegenzusetzen. Die verzweifelten Niederländer zerstörten ihre eigenen Deiche, sodass große Landstriche geflutet wurden, um den französischen Soldaten den Vormarsch unmöglich zu machen. Das funktionierte – hinterließ aber viele Regionen völlig verwüstet. Die Schuld dafür gab man Johan de Witt.

Und die Anhänger der Oranier verstärkten massiv den Druck, um Wilhelm III. an die Macht zu bringen. Die allgemeine Stimmung im Land hatte sich inzwischen zu dessen Gunsten gewandelt – der Coup gelang, de Witt trat von seinem Amt zurück und Wilhelm wurde zum Statthalter ernannt. 

Plötzlich war er ein verhasster Gegner

Wenig später wurde erst de Witts Bruder Cornelis verhaftet, da er angeblich ein Attentat auf den neuen Statthalter geplant haben soll. Beweise dafür gab es nicht. Nach einiger Zeit in Haft und Folter wurde Cornelis schließlich von einem Richter aus den Niederlanden verbannt. Johan holte ihn am Gefängnis von Den Haag ab – dort wartete allerdings bereits eine wütende Menschenmenge, die den de Witt-Brüdern die Schuld gab an der Zerstörung großer Landesteile. Außerdem sahen sie in ihnen eine Gefahr für den beliebten Wilhelm III.

Eine Statue von Johan de Witt
Eine Statue von Johan de Witt steht heute in Den Haag
© Êrik Lattwein / Imago Images

Johan und Cornelis de Witt fanden sich umzingelt von einem wütenden Mob. Einige Stunden lang schützten sie noch Soldaten der niederländischen Armee, die aber schließlich abberufen wurden. Dann wurden die Brüder auf die Straße gezerrt und von den aufgebrachten Menschen brutal ermordet. Ihre nackten Leichen wurden erst öffentlich aufgehängt, dann zerteilt. 

Aber hat man den einst mächtigsten Mann des Landes auch gegessen?

Ein Finger und eine Zunge – unklar, von welchem der Brüder – befinden sich noch heute im Museum von Den Haag. Unstrittig ist auch, dass die wütende Menge damals in einen wahren Blutrausch verfiel und die beiden toten Körper zerstückelte und die Einzelteile untereinander verteilte. Und ja, es gibt zeitgenössische Berichte, wonach Personen Körperteile "schrecklich gegessen" haben sollen. Anderswo wird speziell von den Lebern der beiden Männer gesprochen. Beweisen lässt sich das im Nachhinein nicht mehr – bis auf die erwähnten "Museumsstücke" gibt es keine Spuren der möglichen Tat mehr.

Widerlegen lässt sie sich allerdings auch nicht.

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