Es ist eine merkwürdige Entwicklung. Nur vier Tonnen Kokain haben die Zollbehörden seit Anfang des Jahres im Hamburger Hafen beschlagnahmt. Letztes Jahr waren es fast viermal so viel. Gleichzeitig sinken die Preise – was für ein Mehrangebot spricht. Nun könnte ein Bericht aus Südamerika Licht ins Dunkle bringen: Die Kartelle sollen sich eine raffinierte Schmuggelmethode ausgedacht haben: Sie setzen auf Viehtransporte.
Das berichtet der "Telegraph" unter Berufung auf Ermittler. Das Vorgehen ist dabei erstaunlich einfach. Die teils uralten Frachtschiffe, manche haben bis zu 50 Jahre auf dem Buckel, werden in Brasilien, Kolumbien und anderen südamerikanischen Ländern mit Tausenden Kühen beladen. Zu Beginn ihrer Reise liefern kleinere Boote Kokain-Pakete, die dann an Bord versteckt werden. Vor Europa werden die dann wiederum von Schnellbooten abgeholt – und dann an den großen Häfen vorbei auf den europäischen Markt gebracht.
Kokain-Schmuggel quasi ohne Risiko
Dass sie dabei kaum erwischt werden, hat einen einfachen Grund: Die europäischen Behörden haben wenig Interesse, die Schiffe zu durchsuchen. "Man will keine Minute an diesen Schiffen verbringen, den Geruch kann man sich nicht vorstellen. Die Behörden wollen diese Schiffe nicht in der Nähe ihrer Häfen haben", erklärt ein Analyst der in Lissabon ansässigen Drogenbehörde MAOC-N.
Die oft mit Krankheiten verseuchten Tiere verbringen Monate in den eigenen Ausscheidungen, auch verendete Tiere bleiben einfach liegen. Selbst Drogenspürhunde sind bei solchen Bedingungen überfordert. Kontrollen wegen der Tiere brauchen die Schmuggler nicht fürchten: Die strengen Hygieneauflagen der EU erlauben den Verkauf von unter solchen Umständen transportierten Tieren ohnehin nicht, die offiziellen Reiseziele sind Länder mit laxeren Vorgaben, etwa im Nahen Osten.
Die Behörden haben also keinen Grund, die Schiffe abseits eines Drogenverdachts zu durchsuchen. "Man muss sich die Kosten eines solchen Vorhabens vorstellen. Man muss im Hafen anlegen, das Vieh abladen, mit viel Personal diese riesigen Schiffe mit vielen Versteckmöglichkeiten durchsuchen", so der Analyst. "Die Gangs sind sehr professionell und wissen genau, womit sie durchkommen."
Zufallsfund
Das heißt aber nicht, dass sie nie erwischt werden. Im Januar 2023 hatten spanische Behörden zum bisher einzigen Mal einen Viehtransport gezielt nach Drogen durchsucht. Das 100 Meter lange Schiff war auf dem Weg von Kolumbien in den Libanon. An Bord entdeckten sie 4,5 Tonnen Kokain in den Futtersilos. Aufnahmen an Bord zeigen, wie Beamte durch die Fäkalien der etwa 1750 Kühe an Bord stapfen müssen. Während der Durchsuchung klagten die Anwohner über Verwesungsgeruch von dem vor Gran Canaria ankernden Schiff.
In Australien gelang ein Zufallsfund: Fischer hatten eine im Wasser schwimmende Plastiktonne voller Kokain vor der Küste gefunden. Die Behörden ermittelten, dass sie von einem Viehtransport abgeworfen worden sein könnte. Tatsächlich fanden sich auf dem mit Schafen beladenen Schiff weitere Plastiktonnen mit Kokain im Wert von fast 100 Millionen Euro.
Die beiden Funde dürften aber nicht einmal die Spitze des Eisbergs sein. Laut den Erkenntnissen des MAOC-N sticht jede Woche mindestens einmal ein verdächtiges Schiff in Südamerika in den Atlantik. Gestoppt werden sie nicht, erklärt der Analyst. Ohne konkreten Hinweis sei es "fast unmöglich" eine Durchsuchung genehmigt zu bekommen.
Quellen: The Telegraph, NDR