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Bildung Digitalexpertin Katharina Scheiter: "Das reine Lesen am Bildschirm ist für den Lernerfolg eher hinderlich"

Illustration digitale Schule
Digitalisierung an deutschen Schulen: Interaktive Animationen sind leichter zu verstehen als statische Zeichnungen
© Daniel Stolle
Die Digitalisierung schafft faszinierende Möglichkeiten, sagt Professorin Katharina Scheiter. Plus: Der stern hat die besten Fortbildungsangebote für Schüler und Erwachsene ermittelt.

Frau Scheiter, Jugendliche wie Erwachsene hängen bereits viele Stunden jeden Tag am Smartphone und am Computer. Ist es da erstrebenswert, auch noch das Lernen möglichst stark zu digitalisieren?
Die Frage ist doch, wie man es macht. In der Schule wollen wir Kinder und Jugendliche darauf vorbereiten, kritisch und reflektiert mit digitalen Medien umzugehen. Dazu gehört, sich zu überlegen: Wie viel nutze ich Medien überhaupt, für welche Aufgaben verwende ich sie, wo gebe ich vielleicht auch zu viel über mich preis? Darauf müssen wir Kinder erst einmal vorbereiten. Der zweite Schritt ist dann, zu prüfen: Muss man zusätzlich noch digitale Medien fürs Lernen selbst einsetzen?

Und die Antwort?
Ja, da gibt es schon ein großes Potenzial, wenn digitale Medien richtig verwendet werden. Zum Beispiel, wenn der Computer Schülerinnen und Schülern Hinweise gibt, was sie noch nicht gut verstanden haben und was sie sich noch einmal genauer anschauen sollten.

Portrait aus dem Juni 2022 von Prof. Dr. Katharina Scheiter
Seit Mai ist Katharina Scheiter, 48, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam. Die Psychologin hat sich auf die empirische Lehr- und Lernforschung spezialisiert, vor allem mit Blick auf den Einsatz von Medien. Die Ergebnisse gehen zum Beispiel in die Entwicklung von digitalen Schulbüchern oder in Konzepte zum Einsatz von Tablet-Rechnern im Unterricht ein
© Ernst Kaczynski / Uni Potsdam

Aber ein Aufgabenblatt auf dem Bildschirm ist doch kein Fortschritt gegenüber dem Papierausdruck.
Es muss nicht unbedingt schicker aussehen, sollte aber mehr bieten als ein Blatt Papier. Tatsächlich beobachten wir, dass vieles noch eine digitale Kopie dessen ist, was vorher analog gemacht wurde. Der Computer sollte mir aber schon sagen, wenn meine Antwort falsch ist, und Hinweise zur richtigen Lösung geben – aber eben angepasst an den individuellen Lernstand. Dann muss ich nicht warten, bis die Lehrkraft Zeit hat, meinen Zettel zu korrigieren.

Das klingt fast schon nach künstlicher Intelligenz …
Zu künstlicher Intelligenz in der Bildung wird viel geforscht. Aber es gibt auch Bereiche, wo es die gar nicht braucht. Wenn bei einer Rechenaufgabe nicht die richtige Zahl als Lösung eingetragen wird, dann ist es schlicht und einfach falsch. Das können Computerprogramme sehr leicht erkennen. Interessanter wird es bei Systemen, die menschliche Sprache verarbeiten können. Sie müssten erkennen, ob die Lernenden in einem Antworttext alle wesentlichen Punkte genannt haben. Da ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten.

Was genau sind die Stärken des Lernens an iPad und Co.?
Ein Beispiel: Im Geschichtsunterricht können Orte besucht werden, die gar nicht mehr existieren, etwa das untergegangene Troja. Es ist auch möglich, Unsichtbares erfahrbar oder beobachtbar zu machen, also etwa chemische Prozesse. Wie sich Teilchen verhalten, wenn die Temperatur steigt, ist in einer interaktiven Animation leichter zu verstehen als in einer statischen Zeichnung. Schülerinnen und Schüler können digital selbst mehr und auch andere Experimente durchführen als im Unterricht. Gefährliche Materialien darf ich dort nicht verwenden.

Das klingt, als seien naturwissenschaftliche Fächer fürs digitale Lernen besonders geeignet.
Nein, das stimmt so allgemein nicht. Physik, Chemie und Mathematik waren die Vorreiter, auch in der Forschung zum digitalen Lernen. Aber in der Kunst oder Musik gibt es ebenfalls ganz viele Möglichkeiten, etwa digital zu komponieren oder eine Harmonie bildlich zu veranschaulichen. Das sind tolle Ideen.

Aber was ist eindrücklicher als ein reales Knallgas-Experiment?
Das eine soll auch nicht das andere ersetzen. Wir haben das wissenschaftlich untersucht. Am besten ist es, beide Welten zu kombinieren, das reale Experiment und die digitale Darstellung. Dann habe ich die reale Beobachtung und arbeite selbst mit dem Bunsenbrenner, sehe aber auch im virtuellen Experiment, welche chemische Reaktion sich hinter dem Knall verbirgt. So erzielt man den größten Lernerfolg.

Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung in Klassen, die einen sehr unterschiedlichen Stand haben und nicht in einheitlichem Tempo lernen?
Das ist einer der zentralen Vorteile. Zunächst ist eine Diagnostik möglich. Auf welchem Stand ist denn eigentlich der einzelne Lernende in der Klasse? Es ist für einen Lehrer bei 30 Schülern gar nicht so einfach, den Überblick zu bekommen und zu behalten. Der erste Schritt wäre, digitale Medien einzusetzen, um schnell den jeweiligen Wissensstand festzustellen und dem Lehrer zurückzumelden. Der zweite Schritt ist dann, unterschiedliche Lernangebote zu unterbreiten. Das kann die Lehrkraft machen oder auch ein computerbasiertes System.

Das klingt kompliziert.
Die Herausforderung ist, das Ganze in den Unterricht zu integrieren. Jede und jeder bekommt individuelle Angebote, schreitet im persönlichen Tempo voran. Aber dann kann es passieren, dass sich das Niveau noch weiter auseinanderentwickelt. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen darauf achten, dass es trotzdem eine Klasse bleibt und nicht in eine Ansammlung individuell Lernender zerfällt.

Ist denn auch erforscht, wann es sich digital schlechter lernt?
Das lässt sich so allgemein nicht beantworten. In einigen Fällen allerdings ist der Medieneinsatz einfach naiv gewesen, zum Beispiel wenn es um das Lesen geht. Die Forschung zeigt ganz klar, dass das Lesen auf einem analogen Medium das Verstehen besser unterstützt.

Wenn ich einen Text auf Papier statt am Bildschirm lese, dann kapiere ich den Inhalt besser?
Das reine Lesen am Bildschirm ist für den Lernerfolg eher hinderlich. Ein Schulbuch durch ein PDF-Dokument zu ersetzen ist sinnlos. Die Bewertung ändert sich aber, wenn das Potenzial des Digitalen richtig genutzt wird. Die Lehrkraft kann in einem Text Fragen aufploppen lassen oder Verlinkungen einbauen, etwa zu den Wikipedia-Einträgen der Personen in einem historischen Roman. Hier ist aber Sorgfalt nötig. Im Internet steht auch viel Unsinn.

Eines Ihrer Forschungsergebnisse ist: Wir lernen besonders gut durch Zeichnen. Warum?
Beim Zeichnen schaffen wir selbst etwas. Idealerweise muss ich mir Gedanken darüber machen, was ich verstanden habe. Bei jedem Strich muss ich überlegen, wohin er führt. Ich setze mich mit dem Inhalt intensiver auseinander.

Lässt sich das Lernen durch Zeichnen mit digitalen Medien verbinden?
Da gibt es erste Ansätze, etwa auf dem Tablet zu zeichnen. Der Effekt ist nach aktuellem Stand aber kleiner als beim Zeichnen auf Papier. Das kann damit zusammenhängen, dass man auf dem Bildschirm schnell irgendetwas hinmalt, weil man es schnell wieder löschen kann. Auf Papier muss ich mir das besser überlegen. Ich werde also sozusagen ausgebremst, was mich zum Nachdenken zwingt.

Ideal wäre es also, wenn mir der Computer eine Aufgabe stellt, die ich per Hand auf Papier löse.
Genau solche Konzepte gibt es: aus einer dynamischen Bildschirmanimation den statisch wichtigsten Zustand auf Papier herauszuarbeiten.

Ich habe in Schule und Studium immer besonders gut durch das handschriftliche Verfassen von Zusammenfassungen gelernt. Wie ist das zu erklären?
Also, da muss ich Sie korrigieren. Das Schreiben von Zusammenfassungen ist keine besonders erfolgreiche Lernstrategie. Auch wenn es sogar in der Schule noch immer unterrichtet wird. Es ist deutlich effektiver, sich selbst zu testen, Fragen zu stellen, ob man es richtig verstanden hat.

Sie zertrümmern hier eine feste Überzeugung von Millionen Studenten.
Ich weiß. Manche schreiben immer noch komplette Vorlesungen mit und zeichnen ganze Tafelbilder ab. Viel besser ist es, den Inhalt zu durchdringen. Dafür ist es gar nicht so zentral, ob ich lese, schreibe oder zeichne. Wichtig ist aktive Beschäftigung, die ich da reinstecke.

Viele können besser reden als schreiben oder zeichnen. Also könnte man den Mitlernenden, Eltern oder Partnern ja erzählen, was man gelernt hat.
Das ist auch ein großes Thema in der Forschung: lernen durch Erklären. Allein die Tatsache, dass ich weiß, dass ich es jemandem erklären muss, führt dazu, dass ich mir mehr Mühe gebe, den Inhalt zu verstehen und anderen verständlich zu machen.

Aber für Lehrende ist der Erfolg schwieriger zu kontrollieren.
Nicht unbedingt. Es kann auch die Aufgabe sein, kurze Erklärvideos zu produzieren.

Das Lernmotto wäre dann: Mach es wie der Youtuber Rezo!
Genau. Für die Generation Tiktok ist ein Video ein Werkzeug wie Schere oder Stift und ein Blatt Papier. Das ist eine Kompetenz, die in vielen Bereichen nützlich ist. Auch Lehrkräfte können Erklärvideos machen. Während der Corona-Schulschließungen haben wir festgestellt, dass es sehr gut angekommen ist, wenn die Lehrkräfte für ihre Schülerinnen und Schüler Videos gedreht haben. Das ist auch ein Ausdruck von Anerkennung oder Wertschätzung, wenn ich sehe, meine Lehrkraft hat sich Mühe gegeben. Das wirkt sehr motivierend auf Schülerinnen und Schüler.

Weil sie wissen, dass es Arbeit macht, ein gutes Video zu machen?
Das könnte eine Erklärung sein. Wenn meine Lehrkraft für meine Klasse etwas produziert, schafft das jedenfalls ein größeres Gefühl der Zusammengehörigkeit und Verbundenheit, als wenn ein Youtube-Star etwas erklärt.

Die besten Fortbildungsangebote für Schüler und Erwachsene: 

Studie zu den besten Weiterbildungsanbietern 2022/2023
Studie zu den besten Weiterbildungsanbietern 2022/2023
© stern
Studie zu den besten Weiterbildungsanbietern 2022/2023
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© stern
Studie zu den besten Weiterbildungsanbietern 2022/2023
Studie zu den besten Weiterbildungsanbietern 2022/2023
© stern

Wie die besten Weiterbildungsanbieter ermittelt wurden

Wo lerne ich wirklich etwas? Ist ein Kurs sein Geld wert? Wie zufrieden sind die Absolventen? Der stern hat diejenigen gefragt, die Erfahrungen mit Fernstudien, Lern-Apps oder Sprachkursen gemacht haben: die Teilnehmer.

Die Studie

Partner der Untersuchung ist das renommierte Marktforschungsinstitut Globis, das zu Themen rund um Kundenzufriedenheit forscht und berät. Über zwei professionelle Onlinepanel wurden zwischen dem 8. April und dem 8. Juni mehr als 4500 Erwachsene zur Nutzung von Weiterbildungsangeboten befragt. Die Teilnehmer konnten auswählen, in welchen Bereichen sie sich auskennen. Dort waren die ihnen bekannten Anbieter nach sieben Kriterien zu bewerten.

Es ging um folgende Dimensionen:

Lernqualität (Aktualität der Lerninhalte, Aufbereitung und Präsentation der Lerninhalte, Lerneffekt), E-Learning-Angebot, Service und Betreuung, Preis-Leistungs-Verhältnis sowie Gesamtzufriedenheit und Bereitschaft zur Weiterempfehlung. Das Kriterium "Aktualität der Lerninhalte" wurde nur in den Bereichen erhoben, in denen dies sinnvoll ist (also etwa nicht bei Weiterbildungen zu Sprachen). Ebenso konnte das E-Learning-Angebot nur dort separat benotet werden, wo diese Technik tatsächlich eingesetzt wird.

Die Bewertung

Alle erhobenen Dimensionen flossen zu gleichen Teilen in das Ergebnis pro Anbieter ein. Die Bewertungen erfolgten anhand einer Skala von eins bis zehn. Da Befragte dazu tendieren, Anbieter im oberen Bereich der Skala zu bewerten, wurden die Ergebnisse auf eine Skala von fünf bis leicht über den Maximalwert transformiert und in Punkte (minimal 0, maximal 100) umgerechnet. Der ermittelte Gesamtwert ist in eine Sterne-Skala umgerechnet. Veröffentlicht werden Ergebnisse ab 60 Punkten:

60–69,9 Punkte: drei Sterne
70–79,9 Punkte: vier Sterne
80 Punkte und mehr: fünf Sterne

Für jede Kategorie sind zudem die nach den drei Bewertungsdimensionen am besten bewerteten Anbieter orange markiert.

Transparenz

Die stern-Redaktion arbeitet nur mit Testpartnern mit hoher Expertise. Diese bringt Globis mit. Das unabhängige Marktforschungsinstitut ist für eine Vielzahl von Auftraggebern tätig. Die Neutralität der Datenerhebung und -analyse ist aber immer gewährleistet. Über den Fragebogen und das Bewertungsschema hat die stern-Redaktion entschieden. Kein Unternehmen konnte seine Teilnehmer für die Umfrage benennen. Die ausgezeichneten Anbieter haben die Möglichkeit, für ihre Außendarstellung ein stern-Siegel zu erwerben. Genauere Informationen zu den Bedingungen dieser Siegel finden Sie hier.

Erschienen in stern 37/2022

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