Die Begriffe "Säure" und "Base" stehen für das chemische Verhalten eines Stoffes: Säuren geben positiv geladene Wasserstoffteilchen schnell an ihre Umgebung ab. Basen, auch "Laugen" genannt, nehmen diese Teilchen besonders leicht auf. Säuren und Basen wirken also gegensätzlich - und ergänzen sich dabei: Eine Kombination aus beiden wird "Puffersystem" genannt, wie es etwa im Blut vorkommt. Es besteht aus einer Säure und der entsprechenden Base: Bei Übersäuerung fängt der "Puffer" Wasserstoffteilchen im Blut ab, bei einem Überschuss an Basen wiederum setzt er die Teilchen frei. So gleicht er Schwankungen im Säure- Basen-Gleichgewicht aus. Der Säure-Basen-Haushalt ist in der Balance, wenn der Körper genau über die Menge an Basen verfügt, die er zur Neutralisierung der anfallenden Säuren braucht. Im gesunden Organismus sind Säuren und Basen deshalb auf ein bestimmtes Verhältnis eingependelt. Ob es ausgeglichen ist, zeigt der pH-Wert.
Was ist der pH-Wert?
Auf einer Skala von 0 bis 14 misst der pH-Wert, wie sauer oder basisch ein Stoff wirkt. Die stärkste Säure erreicht den Wert 0, die stärkste Base einen pH von 14. Eine Substanz mit dem pH-Wert 7,0 reagiert weder sauer noch basisch - dieser Wert wird Neutralpunkt genannt. Im menschlichen Organismus gibt es verschiedene pH-Werte*:
Blut: 7,37 bis 7,45
Speichel: 5,5 bis 7,8
Magensaft: 1,0 bis 4,0
Galle: 6,5 bis 8,2
4,5 bis 7,9
Bauchspeicheldrüse: 7,5 bis 8,8
Wie hält der Körper die pH-Werte stabil?
Ein konstanter pH-Wert ist Voraussetzung für die Funktion der Organe. Mehrere Mechanismen schützen vor Schwankungen: > Die Puffersysteme können Störungen im Säure-Basen-Haushalt durch wechselweise Abgabe und Aufnahme von Wasserstoff-Ionen ausgleichen. Einen solchen Puffer im Blut bildet die Base Bikarbonat zusammen mit Kohlensäure, also gelöstem Kohlendioxid. Auch der rote Blutfarbstoff Hämoglobin ist ein wichtiger Puffer.
> Die Lunge atmet das "saure" Gas Kohlendioxid ab. Ist das Blut übersäuert, atmet der Mensch schneller - und setzt so mehr Säuren in Form von Kohlendioxid frei. Ist es zu basisch, sinkt die Atemfrequenz; der Kohlendioxidgehalt steigt und kompensiert den Basenüberschuss.
> Die Niere scheidet bei Übersäuerung über den Urin vermehrt Säuren aus und nimmt wieder Bikarbonat auf. Der Ausgleich funktioniert allerdings nicht sofort: Es dauert einige Stunden oder sogar Tage, bis die Niere die Säureausscheidung steigert; ihre Kapazität ist begrenzt. Je mehr Säuren über sie ausgeschieden werden, desto niedriger ist der pH-Wert des Urins.
> Auch die Leber kann Säuren abbauen und ausscheiden.
> Im Darm werden Säuren durch basische Sekrete aus Bauchspeicheldrüse und Galle gepuffert.
> Im Knochen sorgen Kalzium und Phosphat für Stabilität. Kommt es zu einer lang anhaltenden Übersäuerung des Körpers, die schließlich nicht mehr ausreichend durch andere Puffersysteme ausgeglichen werden kann, wird das basisch wirkende Phosphor aus den Knochen gelöst, um den pH-Wert konstant zu halten. Da der Körper die dazugehörende Menge Kalzium, die übrig bleibt, einfach ausscheidet, kann bei schwerer, langfristiger Übersäuerung zuletzt Knochenschwund drohen.
Übersäuerung und Alkalose
Sinkt der pH-Wert unter 7,36, ist das Blut übersäuert - es liegt eine Azidose vor. Steigt der Wert über 7,44, ist es zu basisch, Ärzte nennen das Alkalose. Die Verschiebungen im Säure-Basen-Verhältnis können durch eine Störung der Atmung entstehen - man spricht dann von "respiratorischer" Alkalose oder Azidose. Sie können auch stoffwechselbedingt, also "metabolischer" Ursache sein: durch Störungen beim Aufbau, Abbau oder der Ausscheidung von Säuren, durch die gestörte Bildung, Zufuhr oder den Verlust der Base Bikarbonat.
Leichte Veränderungen des pHWerts kann der Mensch nicht spüren. Erst starke Entgleisungen führen zu körperlichen Störungen. Das ist etwa bei Übersäuerung eines Diabetikers (Ketoazidose) der Fall. Symptome der schweren Azidose sind zum Beispiel starke Übelkeit und schwere Kreislaufprobleme; unbehandelt kann die Störung in ein Koma münden und lebensbedrohlich sein.
In der Naturheilkunde gibt es Vertreter, die annehmen, dass bereits geringe, im Labor meist nicht messbare Abweichungen des pH-Wertes Beschwer- den und schwere chronische Krankheiten auslösen könnten. Unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen sollen Hinweise auf eine chronische Übersäuerung sein; einige bringen auch Krankheiten wie Allergien, Schmerzsyndrome, Migräne, Neurodermitis oder Rheuma mit einem gestörten Säure-Basen-Haushalt in Verbindung. Sie raten zu speziellen Diäten und der Einnahme von basischem Pulver, um der latenten Übersäuerung entgegenzuwirken.
Bernhard Uehleke, Arzt in der Abteilung für Naturheilkunde der Charité, mahnt zur Vorsicht: "Ich halte nicht viel von dem Konzept der Entsäuerung, vor allem nicht allein mit Basenpulvern. Eine starke Alkalisierung ist genauso gefährlich." Die Theorie der latenten Übersäuerung sei auch unter Alternativmedizinern umstritten. "Sie wird vor allem von Anhängern der Lehren des Kurarz- tes Franz Xaver Mayr vertreten, einer kleineren Gruppe innerhalb der Naturheilkunde." Nüchtern resümiert Andreas Pfeiffer, Professor für Innere Medizin und ärztlicher Leiter der Abteilung für Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam den Forschungsstand: "Das ist wissenschaftlich bislang nicht belegt, und es spricht nichts dafür, dass ein Nachweis erfolgen könnte.
Kann Essen den Körper übersäuern?
Unabhängig vom Forschungsstand (siehe oben) zählen zahllose Ratgeberbücher und Internetseiten die vermeintlichen Warnzeichen eines übersäuerten Organismus auf, sie versprechen schnelle Hilfe auf dem Weg zur optimalen "Säure- Basen-Balance" und nennen Tipps und Rezepte zum "richtigen" Entsäuern.
Die Grundidee: Bei falscher Ernährung kann es zur chronischen Übersäuerung im Körper kommen, die natürliche Abläufe stört und auf Dauer krank macht. Manche Lebensmittel wirken tatsächlich säuernd, andere basisch. Alkalisch wirken beispielsweise Obst, Gemüse und Fruchtsäfte - insbesondere aus Orangen und anderen Zitrusfrüchten -, da bei ihrem Abbau die Base Bikarbonat entsteht. Zu den Säurebildnern zählen danach Bier, Mineralwasser mit Sulfat, Getränke mit Phosphat und Lebensmittel, die viel tierisches Eiweiß enthalten - also Fleisch, Fisch, Wurstwaren und Käse. Auch Nulldiäten oder strenges Fasten können den Organismus sauer machen, weil sie den Abbau von körpereigenem Muskeleiweiß steigern.
Aber führt "falsches" Essen wirklich zu dauerhafter Übersäuerung? "Ein gesunder Mensch mit normal funktionierenden Nieren kann seinen Säure- Basen-Haushalt über die Ernährung nicht bleibend durcheinanderbringen", sagt Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer, "dafür würde auch ein Berg Fleisch, also zum Beispiel 500 Gramm pro Tag, nicht ausreichen." Eine gesunde Ernährung, die viel Gemüse und Obst enthalte, sei zwar generell gut für den Körper. Das "hat aber mit dem Säure- Basen-Haushalt nichts zu tun. Wenn ein durchschnittlich trainierter Mensch eine Stunde Sport treibt, ist er ebenfalls übersäuert, und es schadet ihm nicht, im Gegenteil".
Kann man den Körper im Säure-Basen-Haushalt unterstützen?
"Der menschliche Körper hat sehr potente Puffersysteme. Er kann sich auch bei unterschiedlicher Nährstoffzusammensetzung anpassen und die Säure- Basen-Bilanz in den Körperflüssigkeiten stabil halten - vorausgesetzt, die Organe sind gesund", sagt Hans Hauner, Leiter des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München.
Jeder Überschuss werde hervorragend kompensiert und reguliert, wobei unter anderem die Niere eine sehr wichtige Rolle spiele. Für gesunde Menschen sei eine Ernährung nach speziellen Säure- Base-Ratgebern und ausgleichenden Diäten nicht sinnvoll, sagt Hauner. "Es gibt dafür keinerlei wissenschaftliche Grundlage." Deshalb bestehe auch kein Bedarf für haltlose Empfehlungen: "Das grenzt an Humbug und Verdummung."
Bei Nierenschwäche: Kann pflanzliches Eiweiß einer Übersäuerung vorbeugen?
Ist die Niere durch Krankheit geschwächt, kann sie einen Säureanstieg im Körper manchmal nicht mehr vollständig über die Urinausscheidung kompensieren. Der Bikarbonat-Gehalt nimmt ab, es kann zu einer leichten Übersäuerung im Organismus kommen, der pH-Wert im Urin sinkt. Eine Harnuntersuchung kann deshalb auch Hinweise auf Veränderungen im Säure-Basen-Haushalt liefern.
Die mögliche Folge einer Nierenschwäche: Die Organe können nicht mehr ausreichend Vitamin D bilden, welches dafür sorgt, dass Kalzium in die Knochen eingebaut wird. Fehlt das Vitamin auf Dauer, kann es zum Knochenschwund kommen. Außerdem wird bei chronischer Übersäuerung neben dem Puffer Phosphat vermehrt Kalzium aus den Knochen gelöst und als Spät- folge die Knochensubstanz aufgeweicht. Bei saurem Urin und gleichzeitig sehr fleischreicher Ernährung bilden sich auch leichter zwei Arten von Harnsteinen: die sogenannten Kalziumoxalat- und die Harnsäuresteine.
Studien haben gezeigt, dass eine Ernährung mit viel pflanzlichem Eiweiß aus Obst und Gemüse die Säurebelastung für die Nieren senken und die Pufferkapazität im Blut erhöhen kann. Sie lässt den pH-Wert des Urins steigen und kann so das Risiko für bestimmte Harnsteine und Osteoporose verringern. Auch Mineralwässer mit viel Bikarbonat erzielen diesen Effekt (auf Flaschenetiketten ist die Base oft mit ihrer chemischen Formel HCO3 angegeben).