Straßenkämpfe in Belfast Nordirlands Protestanten fühlen sich als Verlierer

In Nordirland toben seit 40 Tagen wieder Straßenkämpfe. Aber dahinter steht diesmal nicht die katholische IRA. Es ist die protestantische Arbeiterklasse, die sich aufs Abstellgleis gedrängt fühlt.

Die Gegend um die Newtonards Road im Belfaster Osten wirkt ein wenig, als würde bald die Königin zu Besuch kommen. An jeder Ecke sind britische Flaggen aufgehängt. An Straßenlaternen und an Verkehrsampeln, aus Fenstern und an Gartenzäunen: Überall weht der Union Jack - das Symbol dafür, dass Nordirland fester Bestandteil des Vereinigten Königreichs ist.

Der Anlass für die Festbeflaggung ist jedoch keineswegs feierlich - sie ist Ausdruck eines erbitterten Identitätskampfes pro-britischer Loyalisten. "No Surrender!" ("Keine Kapitulation!") steht auf den Plakaten, die fast wie Steckbriefe in den Pubs an die Theken geklebt sind. Und: "Zerstört die Alliance Party!"

Die neuen Spannungen haben sich ausgerechnet an der Fahne entzündet: An einer Stelle in Belfast darf der Union Jack nicht mehr das ganze Jahr über wehen - und zwar am mondänen Rathaus in der Innenstadt. So will es ein mit pro-irischer Mehrheit und den Stimmen der überkonfessionellen Alliance Partei gefasster Stadtratsbeschluss vom 3. Dezember - der Tropfen, der das Fass wieder zum Überlaufen brachte. Wenn auch die meisten Wissenschaftler den Ausbruch eines neuen Bürgerkriegs in Nordirland für undenkbar halten.

Stellvertreter-Krieg

Gewaltbereite Protestanten haben den Kampf für ihr Symbol aufgenommen - seit nunmehr 40 Tagen liefern sie sich regelmäßig Schlachten mit der Polizei. Über 100 Polizisten wurden verletzt, mehr als 30 allein an diesem Wochenende. Brandsätze und Steine fliegen, die Polizei wehrt sich mit Wasserwerfern und Gummigeschossen. Ministerpräsident Peter Robinson demonstriert Stärke: "Wir geben nicht auf in unserem Kampf für eine Gesellschaft, in der alle in Frieden leben können", sagte er am Sonntag in der BBC.

Der Flaggenstreit ist ein Stellvertreter-Krieg. "Die Flagge war nur der letzte Nagel im Sarg", sagt Elektriker Robert aus dem Osten Belfasts, einer von tausend Demonstranten am Samstag im Belfaster Zentrum. Vielmehr geht es um eine Machtverschiebung in Nordirland. Bis zum Karfreitagsabkommen 1998 waren die protestantischen Loyalisten und Unionisten praktisch uneingeschränkt am Ruder. Sie konnten sich darauf verlassen, immer einen Job zu haben - denn Arbeitslosigkeit traf zuerst die Katholiken. Die Protestanten konnten sich dank voller politischer Rückendeckung sicher fühlen, sie standen immer auf der richtigen Seite.

Protestanten entmachtet

Jetzt sehen sich ausgerechnet die, die lange Zeit geherrscht haben, auf der Verliererseite. "Wir fühlen uns als Bürger zweiter Klasse", sagt etwa Billy Hutchinson, Chef der Progressive Unionist Party (PUP), einst politischer Arm der protestantischen Terrororganisation Ulster Voluntary Force. Vor seiner Politkarriere saß er wegen der Beteiligung an einem Mord an zwei Katholiken 16 Jahre lang im Gefängnis.

An der Flaggenentscheidung stört ihn weniger das Ergebnis. "Wie es zustande kam, ist entscheidend", sagt er. Die Stimme der Protestanten zähle nicht mehr. Die katholischen Nationalisten, die zur Republik Irland tendieren, seien jetzt in der Übermacht.

Andere sehen das differenzierter: "Die loyalistischen Parteien schaffen es seit 15 Jahren nicht, einem Teil ihrer Klientel den Inhalt des Karfreitagsabkommens zu erklären", sagt Maire Hendon, Stadträtin der Alliance Partei. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung habe mit den Protesten nicht das Geringste zu tun. Wie ihre Fraktionskollegin Laura McNamee hat auch Hendon eindeutige Drohungen per SMS und E-Mail bekommen.

Mauern zwischen den Konfessionen

Ihr Wahlbezirk liegt im Belfaster Osten, genau an der Demarkationslinie, wo Protestanten und Katholiken seit Wochen aneinandergeraten. Meterhohe "Peace Walls" (Friedensmauern) trennen gleich hinter der katholischen St.-Matthews-Kirche die Hitzköpfe. In den armen protestantischen Arbeitergegenden im Belfaster Hafenviertel ist fast jeder Fünfte ohne Job. Die Analphabeten-Quote liegt über 20 Prozent. "Bildung wird hier nicht als Wert angesehen", sagt Hendon.

Hendon glaubt, dass viele Menschen in der Gegend anfällig sind für schlichte Parolen. Wie Belfasts Polizeichef Matt Baggott ist sich die Politikerin sicher, dass alte Kader der protestantischen Terrororganisation Ulster Voluntary Force - eine Art Gegenspieler der katholischen IRA - die Gewalt auf den Straßen anheizen. "Sie könnten sie stoppen, aber sie tun es nicht", heißt es.

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Michael Donhauser, DPA

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