Koalitionswirrwarr "Nichts vereinbart, bevor nicht alles vereinbart ist"

Erst hieß es, die große Koalition werde die Mehrwertsteuer erhöhen und den Kündigungsschutz lockern. Dann aber ruderte Franz Müntefering zurück. Nun müssen sich die Verhandlungsführer einigen und geben sich zweckoptimistisch

Die Koalitionsverhandlungen von SPD und Union befinden sich auf der Zielgrade, die Stolpersteine auf den letzten Metern werden aber nicht weniger. So hieß es etwa am Mittwoch, dass sich die Koalitionäre auf die Anhebung der Mehrwertsteuer verständigt hätten. Im Gegenzug sollen die Lohnebenkosten gesenkt werden. Eine Einigung, der die SPD prompt widersprochen hat. So bezeichnete SPD-Chef Franz Müntefering entsprechende Berichte als "Spekulation".

Zudem wies er darauf hin, dass zusätzliche Mittel auch direkt am Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Da von einer Senkung der Lohnnebenkosten nur sehr begrenzte Wirkungen am Arbeitsmarkt zu erwarten seien, müsse man die Verwendung von Finanzmitteln etwa für Renten- oder Arbeitslosenversicherung sehr genau abwägen.

CDU beharrt auf Mehrwertsteuererhöhung

Neuster Stand der Diskussion, Donnerstagmittag: Mehrwertsteuer rauf um zwei Prozentpunkte, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um zwei Punkte runter. So hat es der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) angekündigt. Die verringerte Mehrwertsteuer solle bei sieben Prozent belassen werden. Es ändere sich also nichts für Lebensmittel oder Zeitungen, so Wulff.

Ein entscheidender Knackpunkt bleibt der Kündigungsschutz. Auch hier hieß es zunächst, dass sich SPD und Union darauf geeinigt hätten, die Probezeit von derzeit sechs auf künftig 24 Monate auszuweiten. Das hätte bedeutet, neue Mitarbeiter könnten länger und leichter gekündigt werden. Doch genau wie bei der Mehrwertsteuererhöhung kam sofort Widerspruch von der SPD: "Wir diskutieren noch über den Kündigungsschutz", sagte Müntefering nach einem Treffen der SPD-Spitze mit führenden Gewerkschaftern am Mittwochabend in Berlin. Die Entwicklung gehe zwar in diese Richtung, doch müssten die Bedingungen einer solchen Veränderung noch geklärt werden.

Allerdings hat Müntefering Probleme, die Einschnitte beim Kündigungsschutz seiner Partei zu verkaufen. Nicht zuletzt, weil der Vorschlag aus der Union kommt. Gegenwind kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Deren Vorsitzender Michael Sommer kritisierte die arbeitsmarktpolitischen Planungen von Union und SPD. Durch eine Lockerung des Kündigungsschutzes entstehe nicht ein zusätzlicher Arbeitsplatz, sagte er. "Das Thema immer wieder anzufassen, halten wir für überflüssig wie einen Kropf." Auch die Einigung von Union und SPD, das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre zu erhöhen, lehnte Sommer ab.

Am Donnerstag, wenige Stunden vor den abschließenden Beratungen von SPD und Union, scheint eine Einigung in dieser Frage weiter offen zu sein: Es sei nichts vereinbart, bevor nicht alles vereinbart sei, sagte der designierte SPD-Chef Matthias Platzeck. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte, eine Einigung beim Kündigungsschutz gebe es erst, wenn über alles gesprochen worden sei.

Platzeck sagte, diesen Donnerstag komme eine entscheidende Bedeutung zu. Er hoffe aber, dass die Grundzüge vereinbart werden könnten und am Freitag dann ein positiver Schlussstrich unter die Verhandlungen gezogen werden könne. Auch der designierte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte, er rechne mit einer Verständigung bis Ende der Woche.

AP · Reuters
Mit Material von DPA/AP/Reuters