Nun also doch. Nachdem sich das Verteidigungsministerium zunächst ahnungslos gab, verdichten sich nun die Hinweise, dass die Koalition im Streit um die Wehrpflicht einen Kompromiss gefunden hat.
"Losverfahren" heißt das Zauberwort. Es soll das Problem auflösen, dass die Union im Entwurf für ein neues Wehrgesetz, über den am Donnerstag der Bundestag in erster Lesung berät, die Aussicht auf eine Wehrpflicht stehen haben möchte. Die SPD aber ist dagegen. Das Losverfahren käme ins Spiel, sollten sich nicht genügend junge Männer freiwillig zur Musterung melden, um den Soldatenmangel bei der Bundeswehr zu beheben. Aus der Gesamtheit eines Jahrgangs würde dann per Losverfahren eine Gruppe bestimmt, die zur Musterung verpflichtet wird. Sie könnte dann auch zu einem Grundwehrdienst eingezogen werden, der mindestens sechs Monate dauern soll.
Sechs Monate Grundwehrdienst sind nach Ansicht vieler Militärexperten zu wenig. Selbst die SPD im Bundestag verspottete dieses Modell einst als "Schnupperkurs". Und konstatierte: "Die allgemeine Wehrpflicht hat sich bewährt." Das war 2010, ein Jahr bevor die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt wurde.
Der Sinneswandel bei der Wehrpflicht
15 Jahre später sind die Sozialdemokraten zu Kämpfern gegen eben diese Wehrpflicht geworden. Freiwillig soll es zugehen, wenn junge Männer angesichts der Gefahr eines russischen Angriffs auf Nato-Gebiet wieder für die Armee rekrutiert und Deutschland "kriegstauglich" (so Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius) gemacht werden soll.
Nur: Die Personalprobleme der Bundeswehr wird die Freiwilligkeit nicht beheben. Um die Vorgaben der Nato (die "Fähigkeitsziele") zu erfüllen, brauchte es ab 2030 eine Zahl von 240.000 bis 260.000 Soldaten und Soldatinnen. Doch nicht einmal die von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2018 ausgegebene Zielgröße von 203.000 bis 2025 wird bislang auch nur annähernd erreicht. Derzeit zählt die Truppe rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten und ist schon froh, den Schwund gestoppt zu haben.
Anreize wie der Führerschein bringen keine Trendwende
Mit Extraanreizen wie einem kostenlosen Führerschein, Sprachkursen oder einem Einsteigergehalt von 2300 Euro netto sowie mehr Werbung um Frauen wird man diese Zahl vielleicht geringfügig steigern können. Die große Trendwende beim Personalmangel kann damit aber nicht gelingen. Daran wird auch das Losverfahren nichts ändern. Es täuscht nur noch ein bisschen länger darüber hinweg, dass sich Deutschland der Realität stellen muss.
Als großes Vorbild wurde in Deutschland immer das schwedische Modell angepriesen. Zur Erinnerung: Beim skandinavischen Nachbarn war 2017 die sieben Jahre zuvor ausgesetzte Wehrpflicht wieder reaktiviert worden. Allerdings für Männer und Frauen (was in Deutschland erst nach einer Grundgesetzänderung möglich wäre, die derzeit unwahrscheinlich erscheint). Auch dort wird ein Musterungsbogen verschickt, der verpflichtend ausgefüllt werden muss. Auf dieser Grundlage werden rund 30 Prozent eines Jahrgangs gemustert und rekrutiert.

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Der Mythos Schweden-Modell
Der Glaube, dies geschehe rein freiwillig, wie in Deutschland immer wieder gern erzählt wird, ist indes ein Mythos. Zwar rekrutiert das schwedische Militär bevorzugt aus der Gruppe jener, die im Musterungsbogen angeben, sich freiwillig für den Dienst zur Verfügung zu stellen. Doch reichen die Zahlen nicht, wird knallhart eingezogen.

In Deutschland versucht die Regierung stattdessen, die Bevölkerung in eine Wehrpflicht durch die Hintertür zu flauschen. Damit riskiert sie zweierlei: zum einen, im Fall eines russischen Angriffs auf Nato-Gebiet eben nicht verteidigungsbereit zu sein. Und zum anderen einen immensen Vertrauensverlust, wenn es dann doch zur Einführung einer Wehrpflicht kommt.