Reformen DGB stellt Gegenentwurf zur Agenda 2010 vor

DGB-Chef Sommer hat in einem Gegenentwurf zur Agenda 2010 erneut ein Vorziehen der Steuerreform gefordert. Zudem zeigte er sich offen für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, Sommer bekräftigte am Mittwoch in einem Beitrag der Wochenzeitung "Die Zeit" seine Forderung, Teile der für 2004 geplanten Steuerreform sollten rückwirkend zum 1. Januar vorgezogen werden, um die Nachfrage zu stärken. Sommer fordert zudem eine höhere Besteuerung von Erbschaften und Börsenumsetzung. "Wir prüfen des Weiteren eine Erhöhung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer", schreibt er weiter. Mit dem Geld könnten Leistungen der sozialen Sicherungssysteme finanziert und damit die Beitragssätze gesenkt werden. Sommer nennt als Ziel die Senkung der Sozialabgaben um 8,5 Prozentpunkte von derzeit 42 Prozent.

Zulagen für investitionsfreudige Unternehmen

In der derzeitigen wirtschaftlichen Lage müssten Steuererhöhungen allerdings vermieden werden. "Erst in einer Aufschwungphase kann die große Umfinanzierung einschließlich der Einführung eines Freibetrags bei den Sozialversicherungen vorgenommen werden." Sommer fordert weiter, neben dem Vorziehen der Steuerreform müsse der Bund Unternehmen Zulagen gewähren, die im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren überdurchschnittlich investiert hätten. Die Kommunen müssten durch direkte Finanzhilfen des Bundes gestärkt werden. "Ein solches Programm für Wachstum und Beschäftigung würde die Neuverschuldung um 7,5 Milliarden Euro erhöhen, zugleich aber ein Wachstum von einem bis 1,5 Prozentpunkten (...) anregen." Erneut fordert Sommer, bei der Berechnung der Beitragssätze für die Sozialversicherung neben dem Arbeitseinkommen auch Einkommen aus Mieten und Zinsen zu berücksichtigen. Zudem solle der Kreis der Beitragszahler erweitert werden.

Niedrigere Einstiegslöhne für Langzeitarbeitslose

Beim Thema Tarifpolitik spricht sich Sommer dafür aus, zu prüfen, "in welche Flächentarifverträge wir mit den Arbeitgebern Klauseln einbauen, um die Verträge für Betriebe in einer kritischen Situation auf Basis von Tarifverträgen öffnen zu können". Er stützt den Vorschlag der IG Metall, wonach über Betriebsvereinbarungen einen Teil des Abschlussvolumens etwa für die Finanzierung neuer Weiterbildungsangebote eingesetzt werden kann. Zudem spricht er sich für die Einführung befristeter niedriger Einstiegslöhne für ehemalige Langzeitarbeitslose aus.

Kein Zusammenhang mit geplatztem Treffen

Am Dienstag hatten die Gewerkschaften überraschend ein Treffen des SPD-Gewerkschaftsrats abgesagt und dies mit der mangelnden Kompromissbereitschaft der Bundesregierung begründet. In der DGB-Spitze wurde betont, die Veröffentlichung des bereits vor mehreren Wochen angekündigten Gegenentwurfs hänge nicht mit dem geplatzen SPD-Gewerkschaftsrats-Treffen zusammen. Allerdings war die Pressekonferenz, auf der die DGB-Forderungen am Donnerstag vorgestellt werden sollen, bis Mittwoch nicht in den Terminvorschauen angekündigt.

Differenzen nur in der Tonlage

Von einem Eklat war die Rede, einem Riss durch das Gewerkschaftslager, nachdem der SPD-Gewerkschaftsrat ein Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder platzen ließ. Der Entscheidung im DGB-Bundesvorstand am Dienstag ging offenbar eine heftige Diskussion voraus: Die Gewerkschaften waren sich uneinig über ihre Strategie gegen die Reformpläne. In den Organisationen wird abgewiegelt: Streit gebe es nicht, höchstens Differenzen über die Vorgehensweise, hieß es am Mittwoch. Was die Kritik an der Agenda 2010 betreffe, lägen alle Gewerkschaften auf der gleichen Linie, erklärte IG-Metall-Sprecher Claus Eilrich. Nur "in der Tonlage, wie diese Forderungen vorgetragen werden", gebe es Differenzen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Warum hingehen?"

"Von einer Spaltung zu reden, wäre einfach zu hoch gegriffen", sagte eine Sprecherin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Cornelia Haß. Bei dem Frühstück von Schröder und DGB-Chef Michael Sommer am Dienstagmorgen hatte es keine Annäherung in der Frage der Reformpläne gegeben. Im DGB-Bundesvorstand hätte man sich deshalb später gefragt: "Wenn wir uns alle einig sind (bezüglich der Agenda 2010), was sollen wir da noch hingehen?" Keinesfalls sei es so gewesen, dass ver.di-Chef Frank Bsirske und der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel die anderen aufgewiegelt hätten, nicht zu dem Treffen mit dem Kanzler zu gehen.

Fast einmütig gegen ein Treffen

Auch IG-Metall-Sprecher Claus Eilrich betonte, dass die Entscheidung im DGB-Bundesvorstand letztlich einmütig gefallen sei; auch IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt habe dafür gestimmt. Der als gemäßigt geltende Schmoldt hatte die Absage des Gesprächs später kritisiert und als "verpasste Chance" bezeichnet. Die Gewerkschaften müssten gesprächsbereit bleiben und sich darüber klar sein, was sie wollten. Wenn ein Gesamtkonzept nicht verhindert werden könne, müsse man eben über Details reden, sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Gewerkschaften kritisieren drei Punkte

"Worüber hätte denn verhandelt werden sollen?" fragte Michael Knoche, Sprecher der IG Bauen-Agrar-Umwelt. Schröder habe ja wiederholt erklärt, die Agenda 2010 werde ohne Kompromisse umgesetzt. Die Gewerkschaften seien jedoch der Ansicht, dass die Bundesregierung in vielen Punkten den falschen Weg einschlage. Eilrich bekräftigte, dass sich die Kritik der Gewerkschaften auf drei Punkte beziehe: Erstens dürften die Beiträge für das Krankengeld nicht allein von Arbeitnehmern finanziert werden. Zweitens lehne man die geplanten Kürzungen von Arbeitslosengeld und -hilfe ab. Drittens werde gefordert, die Agenda um eine offensivere Wirtschaftspolitik zu ergänzen.

IG Metall will mit Aktionswoche Druck machen

Er verwies ebenfalls darauf, dass Schröder mehrfach erklärt habe, die Agenda 2010 werde eins zu eins umgesetzt. Vor diesem Hintergrund mache es keinen Sinn, sich noch einmal zusammenzusetzen und sagen zu lassen, es gebe keine Korrekturen. Aus Sicht der IG Metall muss jetzt der Druck auf Schröder erhöht werden, um ihn zur Gesprächsbereitschaft zu bewegen. Deshalb sei eine Aktionswoche vom 12. bis zum 17. Mai geplant und ein bundesweiter Aktionstag aller Gewerkschaften am 24. Mai.

Gespräche gehen weiter

Dass die Gespräche mit Schröder trotz der Absage vom Dienstag fortgesetzt würden, bekräftigten alle Gewerkschaften. "Es ist kein Gesprächsfaden gerissen, der nicht mehr zu kitten ist", erklärte Haß. Und der Sprecher der Verkehrsgewerkschaft Transnet, Michael Klein, sagte mit Blick auf den 24. Mai: "So viele Gespräche wie möglich, so viel Protest wie nötig."