Herr Baum, Sie bekommen diese Woche den renommierten Theodor-Heuss-Preis verliehen. Sind Sie überhaupt noch in der FDP?
Wieso?
Weil die Partei den Namen ihres ehemaligen Bundesinnenministers und bekanntesten Rechtsstaatsliberalen nicht mehr zu kennen scheint.
Ich bin nicht der bekannteste Rechtsstaatsliberale, sondern gehöre zu einer ganzen Gruppe, die sich zu dieser Tradition der FDP bekennt. Ich nennen hier nur Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser und Max Stadler.
Wie zu hören, hat es FDP-Generalsekretär Dirk Niebel gar nicht gefallen, dass Sie den Preis bekommen.
Der Preis an mich ist durchaus positiv bemerkt worden. Der FDP-Vorsitzende Westerwelle hat mir einen sehr freundlichen Brief geschrieben. Aber es ist schon richtig, dass es in der FDP Berührungsängste mit mir seit längerer Zeit gibt. Das gilt auch für Herrn Niebel.
Weshalb? Sie haben vor dem Verfassungsgericht einen großen Sieg in der Frage errungen, ob der Staat die Computer seiner Bürger hemmungslos ausspähen darf oder nicht. Gewürdigt hat die FDP dies mit keinem Wort.
Ich hätte mir gewünscht, dass die FDP sich diesen Sieg und das Thema sehr viel stärker zu Eigen macht, als sie es bisher getan hat. Sie hatte natürlich Hemmungen, weil sich dieses Urteil gegen ein Gesetz des NRW-Innenministers Ingo Wolf richtete, einen FDP-Mann.
Mit diesem Urteil hätte sich die FDP dennoch schmücken können, denn es hat Gerichtsgeschichte geschrieben. Es hat ein neues Grundrecht geschaffen: Auch Computer sind geschützt wie die eigene Wohnung. Ich befürchte leider, dass die Grünen sich die Zurückhaltung der FDP zunutze machen und ganz massiv einsteigen in das Rechtsstaatsthema, um uns nach dem Umweltschutz auch noch dieses Thema zu nehmen.
Welche Rolle spielt das Thema Verteidigung des liberalen Rechtsstaats denn noch in der FDP? Es wird doch nur noch lustlos geduldet.
Die FDP muss glaubwürdig bei den Bürgern rüberbringen, dass der Schutz des Rechtsstaats ihr immer noch Herzenssache ist. Da fehlt meiner Partei leider einiges. Lippenbekenntnisse genügen nicht. Das Thema wird bei weitem nicht so mit der FPD identifiziert, wie ich mir das wünsche. Das geht jetzt schon seit Jahrzehnten so. Neuerdings ist es dank der Arbeit der Kollegen Stadler und Leutheuser etwas besser geworden. Optimal ist es noch lange nicht.

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Wenn man von Generalsekretär Niebel etwas hört, dann immer nur den Ruf: Weg mit dem "schröpfenden Steuersystem."
Ich habe mit Herren Niebel meine Probleme und er mit mir. In meiner ganzen politischen Vergangenheit habe ich immer meine Meinung gesagt, auch über Personen. Bei Niebel bin ich der Meinung, dass er seine Rolle noch immer nicht gefunden hat. Im Augenblick geht es in der FDP doch darum, eine Reihe von programmatischen Defiziten zu beheben.
Dazu gehört: Die FDP muss ihre Sicht von sozialer Gerechtigkeit formulieren und dabei verschiedene Defizite ausbügeln. Das hat mein Parteifreund Philipp Rösler sehr klar ausgesprochen, der auf ein stärkeres sozialpolitisches Engagement der FDP drängt. Er nennt Solidarität zurecht einen Grundwert der Gesellschaft, in der die Starken den Schwachen zu helfen haben. Das zu formulieren, wäre die Aufgabe des Generalsekretärs, so war das früher. Das leistet Niebel überhaupt nicht. Es ist zu wenig, nur mit dem Thema Steuersenkung die Leistungsträger anzusprechen. Die sind im Übrigen auch an Umweltschutz und Rechtsstaat interessiert.
Parteichef Westerwelle hat erklärt, die FDP werde sich künftig nicht mehr einseitig auf eine Koalition mit der CDU festlegen. Da wäre es wichtig, Gemeinsamkeiten mit anderen Parteien zu definieren. Aber dazu sagt Niebel, es sei jetzt keine Zeit für die Suche nach diesen Schnittmengen.
Das ist vollkommen falsch. Damit desavouiert er den Kurs des Vorsitzenden Westerwelle. Der will mehr Optionen bei Koalitionsentscheidungen erreichen als bisher. Das setzt voraus, dass man auch nach Schnittmengen sucht, zumal es diese mit anderen Parteien als der CDU ja auch gibt. Man muss das Verbindende pflegen und nicht mit blindem Eifer das Trennende. Wer jetzt keine Schnittmengen definiert, ist nicht glaubwürdig, wenn er behauptet, er sehe sich auch nach anderen Optionen um.
Schwarz-Grün ist kein Tabu mehr. Ist das gefährlich für die FDP?
Natürlich. Es ist ja kein Zufall, dass der Befreiungsschlag von Westerwelle kam, nachdem in Hamburg Schwarze und Grüne miteinander ins Gespräch gegangen sind.
Stimmen Sie uns darin zu, dass die Wähler die Bürgerrechte bei den Grünen derzeit besser aufgehoben sehen als bei den Liberalen?
Das Verfassungsgericht ist dem Gesetzgeber in einer ganzen Reihe von Gesetzen in die Parade gefahren. Davon sind die drei wichtigsten Siege vor Gericht von uns Rechtsstaatsliberalen erstritten worden. Wenn die FDP als Gesamtpartei sich hier anschließen würde, wäre sie gut beraten. Sie müsste nur den Mut haben, sich mit uns auch zu zeigen. Auf unserem Weg folgen uns bisher nur die Jungen Liberalen.
Ende Mai trifft sich die FDP zu ihrem nächsten Parteitag in München. Erwarten Sie, dass dort den Rechtsstaatsliberalen wieder mehr Beachtung und Gewicht in der FDP zugemessen wird.
Ich erwarte, dass die Verengungen auf bestimmte wirtschaftspolitische Themen, die das FDP-Bild heute fast allein prägen, nicht wiederholt werden. Und vor allem nicht jener unsägliche Zungenschlag des letzten Parteitags in Stuttgart, wo "Freiheit statt Sozialismus" beschworen wurde, so als ob der Einmarsch der Kommunisten in die Republik und die Machtübernahme in unseren Parlamenten unmittelbar bevor stünde. Das ist doch ein dramatischer Unsinn in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Ich erwarte, dass wir wieder zu einer ernsthaften Konkurrenz der Grünen um die liberalen Großstadtwähler werden. Die haben uns diese Wähler weitgehend abgeworben. Und noch eines ist fast nicht zu begreifen: Dass bei den letzten Wahlen doppelt bis fast dreimal so viele Selbstständige Grüne gewählt haben als FDP.