Hans-Martin Tillack Wie Transparency International seinen Ruf gefährdet

Unter dem Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer flossen um die 420 Millionen an zweifelhaften Provisionen, aber er ist unschuldig. Sagt wer? Nun, Transparency International. An der Seriösität der deutschen Filiale der (auch international von Berlin aus agierenden) Organisation Transparency International hatte ich schon eine Weile leise Zweifel. Jetzt dürfte die Zahl der Zweifler deutlich gestiegen sein. Während die Korruptionsermittlungen bei Siemens offenkundig noch am Anfang stehen, hat ausgerechnet der Deutschland-Chef von TI von Pierer schon einen Persilschein erteilt. Der habe - auch in seiner Zeit als langjähriger Vorstandschef - wohl eher nichts mit bekommen von den Praktiken in seiner Firma.

Man fragt sich, woher der TI-Mann diese Insider-Information hat. Und wenn er so gut Bescheid weiss, was bei Siemens passiert: Warum hat die Organisation dann jetzt erst den Elektro-Multi von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, obwohl seit 2004 bekannt ist, dass gleich zwei deutsche Staatsanwaltschaften wegen möglicher Bestechung bei Kraftwerksprojekten von Siemens ermitteln? Warum scherte man sich bei TI nicht darum, wie ausweichend Siemens auf die wiederholten öffentlichen Bestechungsvorwürfe mehrerer Ex-Manager reagierte? Oder liest man bei TI keine Zeitung?

Gewiss, die Korruptionsrankings von TI sind - wenn auch mit Vorsicht zu geniessen - hilfreich. Aber dass es gerade im deutschen "Chapter" der Vereinigung gravierende Schwächen gibt, ist spätestens klar, seit dort ausgerechnet die ehemalige deutsche EU-Kommissarin Michaele Schreyer in den Beirat berufen wurde. Offenbar hatte es auch hier mit dem Zeitungslesen gehapert. Sonst hätten die TI-Leute wissen müssen, dass Schreyer in ihrer Brüsseler Zeit zwar regelmässig von sich reden machte - aber nicht so sehr durch engagierte Korruptionsbekämpfung, sondern eher durch das Gegenteil. Zum Beispiel in der Affäre um das EU-Statistikamt Eurostat, in der sie sogar wider besseres Wissen behauptete, Fehlverhalten habe es nur vor ihrer Amtszeit gegeben. Oder beim EU-Amt für Betrugsbekämpfung, dem sie erst Steine in den Weg legte - und das sie dann über den grünen Klee lobte, nachdem klar geworden war, dass dessen Chefermittler die Kommission mit Samthandschuhen anfasste.

Immerhin ist es kein Geheimnis, dass selbst der Innenrevisor der EU-Kommission Schreyer mangelndes "Rückgrat" bei der Finanzreform vorgeworfen hatte - weil sie die kritische Chefbuchhalterin Marta Andreasen fallen liess, nachdem die mit fundierten Argumenten auf die Betrugsanfälligkeit von Schreyers Buchführung hingewiesen hatte. Aus Sicht des Chefrevisors war Schreyer "nervös" geworden, weil sie den "regelmässigen Fluss" der EU-Zahlungen bedroht sah. Der war ihr - so der Verdacht des Revisors - offenkundig wichtiger, als eine korrekte Buchführung.

Transparency heisst auf Deutsch Transparenz. Das erwartbare Minimum an Transparenz, sollte man meinen, ist Ehrlichkeit. Schreyer fiel mehrfach auf, wie sie Parlament und Öffentlichkeit versuchte, hinter die Fichte zu führen - zum Beispiel, in dem sie einen sie angeblich lobenden Bericht des EU-Rechnungshofs zitierte, der ihre Arbeit in Wahrheit vernichtend kritisierte.

Solche Leute als Beirat bei TI? Es ist fast ein bisschen so, als wäre ein CIA-Entführungsexperte Chefberater bei Amnesty International. Wenn flunkernde Politiker bei Transparency als Berater willkommen sind - wird freilich auch der frühe Freispruch für von Pierer ein bisschen verständlicher.