Genau 21.306 Menschen haben bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden für die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling gestimmt. Aus dem Stand heraus fuhr die frühere Hamburger AfD-Politikerin damit 9,6 Prozent in der sächsischen Landeshauptstadt ein. Auch wenn sie sich kaum Hoffnungen auf die Nachfolge von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) machen kann, ist es ein beachtliches Ergebnis: Das Viertstärkste der sechs Kandidaten. Und angesichts des zuletzt deutlich nachlassenden Zulaufs zu den Pegida-Kundgebungen hatten nur wenige mit so einem Zuspruch gerechnet.
"Das bestätigt den Eindruck, dass die Demonstrationen zwar geringer werden, das dahinterliegende Problem aber nicht verschwindet", sagt der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden. Die montäglichen Kundgebungen der selbst ernannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" seien nur "die Spitze des Eisbergs". "Das ist das, was sich jetzt noch mobilisieren lässt." Dahinter stünden kritische Einstellungen und Stimmungen von größeren Teilen der Bevölkerung etwa zu den Themen Asyl und Islam sowie die Ablehnung etablierter Parteien und der von ihnen aufgestellten Politiker, die in dem Ergebnis nun sichtbar würden, meint Vorländer.
"21.000 Menschen wählen eine Rechtsradikale aus Hamburg"
Während Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt es als bedenkliche Entwicklung sieht, wenn "21.000 Menschen eine Rechtsradikale aus Hamburg wählen", kann der Generalsekretär der sächsischen CDU dem Abschneiden Festerlings auch Positives abgewinnen. Noch vor Monaten seien Zehntausende in Dresden mit Pegida auf die Straße gegangen, sagt Michael Kretschmer. "Es war kein Gespräch möglich." Nun habe man die Organisatoren dazu bekommen, sich einer Wahl zu stellen. "Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit." Die Abstimmung zeige, wie die Stadt mehrheitlich zu Pegida stehe. "Das ist schon ein Wert an sich." Auch wenn ihm die fast zehn Prozent deutlich zu viel seien.
Zweiter Wahldurchgang am 5. Juli
"Wir wissen, dass viele unserer Parteimitglieder und unserer potenziellen Wähler bei Pegida auf der Straße sind", sagt der AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Urban. Doch nur halb so viele Dresdner wie für Festerling stimmten für den AfD-Kandidaten Stefan Vogel, der vielen Protestwählern offensichtlich schon wieder zu bürgerlich und damit zu nah an den "Volksverrätern" ist, wie Politiker bei Pegida-Kundgebungen immer wieder beschimpft werden. Dennoch wolle man versuchen, mit Pegida im Gespräch zu bleiben und zu schauen, wo man sich "gegenseitig befruchten" kann, sagt Urban.
Ein Zünglein an der Waage im zweiten Durchgang der Bürgermeisterwahl am 5. Juli sieht Politologe Vorländer in der Pegida-Anhängerschaft nicht. Nach dem Rückzug des CDU-Kandidaten Markus Ulbig gebe es nun einen Lagerwahlkampf zwischen Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD), die von der rot-rot-grünen Stadtratsmehrheit getragen wird, und dem Ersten Bürgermeister Dirk Hilbert, der zwar FDP-Mitglied ist, aber als Unabhängiger für ein bürgerliches Bündnis ins Rennen gegangen ist.
Rot-rot-grün könnte im Pegida-Teich fischen
"Man darf nicht jetzt einfach die Stimmen, die von Hilbert über Vogel oder Festerling vergeben wurden, dem bürgerlichen Lager zurechnen", warnt der Politik-Professor. Gerade das Verhalten der Festerling-Wähler sei nur schwer einzuschätzen - vor allem, wenn die Pegida-Kandidatin im zweiten Wahlgang nicht mehr anträte. "Es ist davon auszugehen, dass dann eine Mehrheit ihre Anhänger überhaupt nicht mehr wählen wird."
Auch die rot-rot-grüne Kandidatin könne durchaus im Pegida-Teich fischen. "Wenn Frau Stange das Lager der Protestwähler vorsichtig mit sozialen Themen anspricht, dann hätte sie bestimmt eine Chance, von dort Stimmen zu bekommen - auch wenn sie sich zugleich deutlich von xenophoben und islam- oder ausländerkritischen Äußerungen distanziert", sagt Vorländer.
Ein Effekt lässt sich ihm zufolge Pegida ebenfalls noch zurechnen: Die hohe Wahlbeteiligung, die im ersten Wahlgang am Sonntag mit mehr als 51 Prozent deutlich über der von 2008 lag. "Man kann davon ausgehen, dass Pegida die Stadt politisiert hat." Und das schlage auf die Beteiligung durch.