Kommt ein Chinese von einer Urlaubsreise heim, lässt er sich erst mal feiern. Er lädt Freunde und Verwandte ein, ehrt sie mit möglichst kostspieligen Mitbringseln und referiert entlang endloser Fotoserien ausführlich über jede Station der Reise. Das ist Tradition in China und schlichtweg eine Statusfrage. Darin liegt auch der Grund, warum chinesische Touristen stets darauf achten, beim Fotografieren von Sehenswürdigkeiten immer selbst mit im Bild zu sein. Es geht ihnen beim Reisen nicht nur um Erholung oder Abenteuer, sondern auch darum, dass zu Hause das Ansehen wächst.
Die Reiselust im Reich der Mitte wächst: Während große Teile des Volkes in Armut leben, machen in diesem Jahr erstmals mehr als 50 Millionen Chinesen aus der neuen Oberschicht eine Auslandsreise. Bis nach Deutschland kommen knapp eine halbe Million Gäste, die meisten geschäftlich, aber immerhin doppelt so viele wie 2003, als die Chinesen erstmals als Touristen nach Deutschland reisen durften. Deutsche Gastgeber tun sich noch schwer mit dem anspruchsvollen, immer etwas zu lauten chinesischen Gruppen - und die bringen ihr ganz eigenes, wenig schmeichelhaftes Bild von "Deguo" mit nach Hause.
Wie die Japaner vor 30 Jahren erobern die Chinesen den fernen Westen mit dem Bus, hetzen über Tausende von Autobahnkilometern innerhalb weniger Tage durch halb Europa. "Je mehr Länder desto besser, aber bitte möglichst günstig", beschreibt Anja Sönnichsen vom Reiseveranstalter "De hua" die Erwartungen ihrer Kunden. "Ein Chinese sitzt lieber zwei Stunden länger im Bus, als dass er eine wichtige Sehenswürdigkeit verpassen würde." Deutschland reduziert sich bei einer durchschnittlichen Verweildauer von zwei Tagen auf seine Memorabilien: Berliner Mauer, Kölner Dom, das Hofbräuhaus in München. Ebenfalls enorm beliebt: ein Großeinkauf im württembergischen Metzingen mit seinen Outlet-Stores und ein Abstecher in die Schwarzwaldidylle von Neustadt am Titisee.
Europa als Freilichtmuseum
"Chinesische Freizeittouristen sehen Deutschland zunächst einmal als das Land, in dem die Fachwerkhäuser stehen, die Grimmschen Märchen spielen und das berühmte Bier auf einem immerwährenden Oktoberfest rund um die Uhr sprudelt", sagt Professor Wolfgang Arlt vom China Outbound Tourism Research Institute an der Fachhochschule Westküste in Heide. Zwar kenne man in China durchaus deutsche Künstler, Erfinder und Ingenieure, jedoch gehe es den Reisepionieren aus Fernost zunächst einmal darum, ihr Basiswissen zu überprüfen und sich zu amüsieren. "Europa nehmen sie dabei als eine Art Freilichtmuseum mit angeschlossenem Shopping-Center wahr, in dem sie die Bräuche der Eingeborenen erkunden und ausprobieren können."
Laut Arlt hätten viele deutsche Gastgeber das Deutschland-Bild ihrer Gäste falsch eingeschätzt: "Mit den Chinesen reisen sicher keine gerührten Bewunderer unserer Kulturschätze an. Es sind die Gewinner des chinesischen Aufschwungs, die mit einem Gefühl der Überlegenheit kommen und sich zu Unrecht auf die Themen Tibet und Menschenrechte reduziert sehen." Wenig schmeichelhaft: Den Deutschen an sich hält der Chinese zwar für einen zuverlässigen Handelspartner, für pünktlich und präzise, jedoch auch für wenig kreativ und ein bisschen schwerfällig beim Denken.
Deutschen Hoteliers und Reiseveranstaltern geben die fordernden Chinesengruppen, die sich so gern in letzter Sekunde umentscheiden, weder "Ladies first" noch Trinkgeld kennen, dafür aber nach Herzenslust feilschen und auch unterwegs ausschließlich chinesisch essen wollen, regelmäßig Rätsel auf. Wer hätte auch ahnen können, dass sie so anders sind als die ruhigen, genügsamen Japaner und sich mindestens so gern beschweren wie wir Deutsche? In China jedenfalls wird vor der Langsamkeit des deutschen Personals und seiner schlechten Laune in Reiseführen explizit gewarnt - mindestens so sehr wie vor deutschem Essen.
Auf Einkaufstour
Auf Reisende, die in ihrer Heimat erlebt haben, wie innerhalb kürzester Zeit Megastädte aus dem Boden gestampft werden, wirkt in Deutschland vieles reichlich mickrig: "Chinesen lieben etwa moderne Hotels mit großer Lobby, am besten noch mit Piano-Spieler, und sind enttäuscht, wenn sie auf ihren Rundreisen in ihre günstigen Drei-Sterne-Hotels in der Vorstadt kommen", sagt Anja Sönnichsen. Überhaupt stellen sie sich Deutschland im Vorfeld moderner vor: "Mit mehr Verkehrsstaus, Wolkenkratzern und Glasbauten. Erstbesucher sind regelmäßig von den Socken, wenn sie feststellen, dass es in Frankfurt nicht mal halb so viele Hochhäuser gibt wie in einem Vorort von Kanton."
Immerhin: Sie nehmen auch positive Eindrücke aus dem Barbarenland mit nach Hause. So fällt auch dem modernitätsgepeitschten Chinesen auf, dass Deutschland ein besonders grünes Land sei, mit guter Luft und dass der Himmel hier viel blauer ist als in China. Und zum Schnäppchenparadies taugt Deguo allemal: Da Markenprodukte hier deutlich günstiger sind, stopfen sich die chinesischen Touristen die Taschen voll. Mehr als die Hälfte ihres Reisebudgets geben sie für hochwertige Messersets, Lederwaren, Schmuck und Designer-Klamotten aus, als Mitbringsel für die Lieben daheim. Das mehrt das Ansehen nach der Rückkehr ganz gewaltig, haben doch Produkte "Made in Germany" im Land der Raubkopien auch weiterhin einen exzellenten Ruf.