Reem Alabali Radovan steigt über ein paar Trümmerteile vor einem Wohnhaus in Petropawliwska Borschtschahiwka. Vor etwas mehr als einem Monat, an einem Sonntag morgens um halb sechs, schlug hier, ein paar Kilometer westlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew, eine Rakete ein. Ein Loch, das der Einschlag in die Hauswand riss, gibt den Blick auf eine mit zwei Heißluftballonen bedruckte Tapete frei. Wie durch ein Wunder habe das Kleinkind dort drin überlebt, sagt der Bürgermeister.
Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die für einen Tag in die Ukraine gereist ist, holt Luft, verzieht das Gesicht, weiß für einen Moment nicht, was sie sagen soll. Was soll man sonst tun, wenn nicht überwältigt sein von diesem Anblick, der gleichwohl nur eine leise Ahnung vermittelt von dem Horror, mit dem Russland die Ukraine jeden Tag überzieht.
Alabali Radovan will mit ihrem Besuch ein Zeichen setzen, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstützt, nicht nur militärisch, sondern auch mit zivilen Mitteln. Gerade jetzt, wo die russischen Luftangriffe, auch auf die Hauptstadt, zunehmen, die Aufmerksamkeit dafür in Deutschland aber etwas geschwunden sei.
Radovan muss rechtfertigen, warum es ihr Amt überhaupt braucht
Deshalb hat die 35-jährige SPD-Politikerin unter anderem einen Gedenkort im ehemals besetzten Butscha besucht und ein Restaurant, das Ukrainer, die bereits zweimal innerhalb des Landes fliehen mussten, auch mit deutschen Mitteln nun betreiben können. Vor dem zerstörten Haus in Petropawliwska Borschtschahiwka fragt die Ministerin schließlich: "Was brauchen Sie hier?" Der Bürgermeister des Dorfs zählt auf: "Finanzierung, Hilfe, Baustoffe, alles Mögliche für den Wiederaufbau". Allein 2000 Fenster seien durch die Druckwellen der Explosion zerstört worden, in den Wohnblöcken die ganzen Straßenzüge entlang. Es ist eine Zerstörung gewaltigen Ausmaßes.
Ein Werben an das Gewissen der Deutschen – und in eigener Sache
Konkrete zusätzliche Hilfe verspricht die Ministerin dem Bürgermeister nicht, vielleicht weil sie weiß, dass sie das nicht einlösen könnte. Seit dem Beginn der versuchten russischen Vollinvasion vor bald vier Jahren sind bereits zwei Milliarden Euro aus ihrem Ministerium in die Ukraine geflossen, für Wiederaufbau oder um die Energieversorgung zu gewährleisten. Das ist viel Geld. Es sei wichtig, dass "die deutsche Öffentlichkeit" hier sehen könne, warum weiter unterstützt werden müsse. Es ist eine Art Werben an das gute Gewissen der Deutschen. Aber für Alabali Radovan ist es auch ein Werben in eigener Sache.
Schließlich hatte die CDU im Wahlkampf noch gefordert, das Ministerium gleich ganz abzuschaffen und die Aufgaben stattdessen an den Außenminister zu übertragen. Und in Zeiten knapper Kassen lässt sich immer schwerer vermitteln, warum viel Geld anderswo hinfließen soll. Es ist damit auch die Frage danach, wie weit Mitgefühl in diesen Zeiten politisch noch reicht. Zwar war Entwicklungspolitik immer schon auch interessengeleitet. Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, für gute Bedingungen in einem anderen Land zu sorgen, um zu verhindern, dass Menschen von dort fliehen. Aber es geht natürlich auch um Werte, darum, andere Länder in schwieriger Lage zu unterstützen.
Kein anderer Etat wurde so stark gekürzt wie der von Alabali Radovan
Offensichtlich steht das auf der Prioritätenliste deutlich hinten: Weltweit werden in der Entwicklungshilfe Mittel gestrichen, in Deutschland wurde zuletzt kein anderer Etat so stark gekürzt wie dieser, nämlich um acht Prozent, auf 10,3 Milliarden in diesem Jahr. Alabali Radovan hat die Botschaft deshalb wie folgt angepasst: Unterstützen wir in der Ukraine, ist das auch für die eigene Wirtschaft gut.
Auf der Reise sind auch gleich ein paar Leute parat, die das gern bestätigen wollen. Auf dem Übungsgelände des Katastrophenschutzes stützt sich Oliver Rasche im schneidigen Outfit auf den "Wolf". So heißt die fünfte Generation des in Niedersachsen von "Alpha Robotics" hergestellten Bergungsroboters. Die ukrainischen Einsatzkräfte können sich so davor schützen, einem sogenannten Doppelschlag zum Opfer zu fallen, sagt Rasche, eine von Russland vermehrt eingesetzte Taktik, nach dem ersten Angriff einen zweiten zu starten, um herbeieilendes Hilfspersonal ebenfalls zu töten.
 
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16 solche unbemannten Geräte von "Alpha Robotics" sind in der Ukraine inzwischen im Einsatz, das Ministerium hat bei der Beschaffung unterstützt. Seine Firma sei die letzten Jahre "ganz gut" gewachsen, sagt Rasche. Und: "Das hilft dann auch der deutschen Wirtschaft." Es ist ein Satz wie aus dem Skript der Ministerin – und diese steuert nach etwas Überzeugungsarbeit dann doch noch einen der Bergungsroboter mit einem Joystick aus der Ferne.
Die Ministerin mit dem sehr gestutzten Etat betont auf ihrer Reise immer wieder: Am Ende werde der Wiederaufbau des Landes mit öffentlichen Mitteln allein nicht zu stemmen sein, es brauche private Investitionen. Aktuell werden die Kosten bereits auf knapp 550 Milliarden Euro geschätzt – und der Krieg geht noch weiter.
Schon jetzt bemüht sich ihr Ministerium darum, die Privatwirtschaft zu mobilisieren. In der deutschen Botschaft in Kiew haben am Abend zwei deutsche Firmen Verträge für Investitionen im Bereich der Erneuerbaren Energien unterzeichnet. Doch jetzt in der Ukraine Solarpaneele oder Windparks aufzubauen, ist risikoreich. Was, wenn die zerstört werden?
Die Unternehmen machen das trotzdem, aber nur, weil ihre Investitionen über eine Gesellschaft, die Finance Motion GmbH, auch mit staatlichen Mitteln abgesichert sind. Und weil sie darauf hoffen, dass sie, sobald der Krieg vorbei ist, eine gute Ausgangslage in dem Land haben. Noch kann ihnen niemand sagen, ob es am Ende so kommt. Es ist eine Investition in eine optimistische Zukunft. Auch Alabali Radovan scheint eine Optimistin zu sein.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
