Inside Schule "Die Schule ist zur Spielwiese des rechten Kulturkampfes geworden"

In vielen Schulen droht eine rechtsextreme Vorherrschaft, zeigt eine Recherche von stern und RTL. Politiker aus den Bundesländern reagieren
In vielen Schulen droht eine rechtsextreme Vorherrschaft, zeigt eine Recherche von stern und RTL. Politiker aus den Bundesländern reagieren
© stern-Montage: Illustration: Vincent Burmeister
Die Recherchen von stern und RTL zum Rechtsruck an Schulen beschäftigen auch die Politik. Bildungs- und Extremismussprecher aus den Bundesländern reagieren teils alarmiert. 

Bildung ist bekanntermaßen Ländersache. Was sagen also Bildungspolitiker und -politikerinnen aus verschiedenen Ländern zum Rechtsextremismus an Schulen – und den Recherchen von stern und RTL zum Thema? Ein Überblick: 

Die Grenzen des Sagbaren hätten sich auch an Schulen verschoben, sagt Dilek Engin, Bildungspolitikerin der SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Demokratie und Aufklärung beginne im Klassenzimmer. Für jene, die "den rechtsradikalen Rattenfängern bereits auf dem Leim gegangen sind, müssen pädagogisch versierte Hilfs- und Ausstiegsprogramme an unseren Schulen dauerhaft etabliert werden", so Engin. Demokratiebildung müsse dabei nicht nur gelehrt, sondern auch an den Schulen gelebt werden: "Junge Menschen lernen am besten durch das Erfahren, daher muss politische Bildung und Demokratieförderung auch praxisnah vermittelt werden und nicht auf Theorieebene verharren."

Michael Noetzel, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, warnt: In einigen Regionen drohe "jung, brutal, rechtsradikal" zum Mainstream zu werden. "Schulen rücken immer öfter in den Fokus dieser besorgniserregenden Entwicklung." Sie seien für junge Rechte der Ort, an dem sie sich träfen, an dem sie sozialisiert würden – immer öfter würden sie aber auch zum Tatort. Dennoch könnten Schulen einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck nicht aufhalten. "Aber sie sind und bleiben bedeutende Institutionen, um Heranwachsenden die Vorteile von Demokratie und Menschenrechten näher zu bringen", so Noetzel. Es sei wichtiger denn je, engagierten Lehrerinnen und Lehrern den Rücken zu stärken und ihnen die Sicherheit zu geben, humanistische Werte zu vermitteln. "Die Bedrohung für Betroffene und ihre Angehörigen ist ganz real. Die Signalwirkung ist verheerend: Wer sich für den Schutz von Menschenrechten und Demokratie stark macht, läuft Gefahr, ins Visier von AfD und Co. zu geraten", so Noetzel. "Die Schule ist zur Spielwiese des rechten Kulturkampfes geworden." 

Sabine Ritter, Sprecherin für Schule der Linken in Hamburg sagt, in der Hansestadt bemühe sich die AfD seit Jahren um Einfluss an Schulen: Ihre Methoden reichten von Vorwürfen, die Schulen würden ihre "Neutralitätspflicht" verletzen über die "Errichtung von Meldeportalen" bis hin zu "Hetzkampagnen gegen ganze Schulen wegen Antifa-Stickern dort". Sowas schüchtere ein und verunsichere Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte und Eltern nachhaltig. 

Lara Klaes, Sprecherin für Demokratieförderung und Extremismusprävention der Landtagsfraktion der Grünen in Hessen, spricht von einem gezielten Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. "Schulen sind Orte der Bildung und der demokratischen Mündigkeit – sie dürfen nicht zu Rekrutierungsfeldern für rechtsextremes Gedankengut werden", so Klaes. Darauf brauche es eine politische Antwort: Schulen bräuchten klare Leitfäden, verpflichtende Fortbildungen zu Extremismusprävention, klare Handlungsleitfäden für den Umgang mit rechtsextremen Vorfällen und eine dauerhafte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Bildungsarbeit. 

Anna Rasehorn, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im bayerischen Landtag, sieht einen wachsenden Einfluss rechtsextremer Ideologien an Bayerns Schulen. "Viele Lehrkräfte sind verunsichert, wie sie damit umgehen sollen. Während sie demokratische Werte vermitteln sollen, werden sie von der AfD mit fadenscheinigen Berufungen auf das Neutralitätsgebot eingeschüchtert", meint die "Sprecherin im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus". Neutralität bedeute jedoch keine Gleichgültigkeit gegenüber Extremismus. Rasehorn fordert von der bayerischen Landesregierung klare Rückendeckung und Rechtssicherheit für Pädagoginnen und Pädagogen: "Die Staatsregierung muss hier endlich klare Kante gegen diese gezielten Angriffe zeigen. Wenn die Staatsregierung weiter schweigt, macht sie sich mitschuldig daran, dass rechte Ideologien in Schulen Raum gewinnen." 

Die saarländische bildungs- und kulturpolitische Sprecherin Jutta Schmitt-Lang (CDU) weist gegenüber dem stern darauf hin, dass es laut den Zahlen der Polizeistatistik in ihrem Bundesland nur wenige rechtsextreme Vorfälle an Schulen gibt. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass ausschließlich angezeigte Fälle mit strafrechtlicher Relevanz erfasst würden. Wenn es um Gewalt und Extremismus an Schulen gehe, tauchten niedrigschwelligere Vorfälle wie Beleidigungen, Bedrohungen oder Einschüchterungen in keiner Statistik auf. Die CDU-Politikerin kritisiert, dass die SPD-Mehrheit im Landtag eine Dunkelfeldanalyse ablehne. Ohne ehrliche Datengrundlage könne man nicht gezielt gegensteuern – wer Transparenz verweigere, verfehle den Bildungsauftrag. 

Rechtsextreme Vorfälle seien an vielen Schulen seit Jahren Realität, sagt Katja Meier, Grüne, Sprecherin für Demokratie in Sachsen: "Das ist kein regionales Randproblem, sondern ein gesamtdeutsches." Die AfD versuche gezielt, Schulen zum politischen Schauplatz zu machen. "Der Handlungsdruck ist groß und verlangt klare Rückendeckung für Lehrkräfte, Schutz vor Einschüchterung und eine starke Demokratiebildung. Demokratie darf nicht nur gelehrt, sondern muss aktiv geschützt werden." In Fällen, in denen die AfD Lehrkräfte einschüchtere und Jugendliche öffentlich an den Pranger stelle, gehe es der Partei nicht um Debatte, sondern um Drohung, meint Meier.

Teaser zur Doku
© stern-Montage: Illustration: Vincent Burmeister
Kampf ums Klassenzimmer – die Undercover-Doku zum Rechtsruck an Schulen

Stefan Fulst-Blei, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Bildungspolitischer Sprecher der SPD in Baden-Württemberg, sagte dem stern, die Recherchen zeigten für ihn, wie sehr sich unsere Demokratie auch in einem "kalten Krieg mit der AfD" befinde. Es sei gerade deshalb extrem wichtig, dass die Kultusministerien den Lehrkräften den Rücken stärkten. "Das baden-württembergische Schulgesetz verpflichtet Lehrkräfte zur Vermittlung von Menschlichkeit und Friedensliebe sowie der Achtung vor der Würde und Überzeugung anderer. Schule ist in diesem Sinne nicht neutral. Schule ist parteiisch für eine pluralistische Demokratie!" Wer als Lehrkraft aber wegschaue, wenn diese Demokratie bedroht werde, handele nicht nur fahrlässig – sondern auch gegen den Arbeitsethos und die Verpflichtung als beschäftigte Person des öffentlichen Dienstes. Fulst-Blei: "Diese große Aufgabe, unsere Demokratie zu schützen, darf aber den Lehrkräften nicht alleine überlassen werden, sondern sie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung für uns alle."

Das gesamte Rechercheteam: Khalil Awad, Catrin Boldebuck, Christian Esser, Jonas Fedders, Félice Gritti, Manka Heise, Jana Luck, Luc Oeppert, Ronja Lou Ruland, Katja Scholze, Maria Sáenz, Alana Tongers
Koordination: Félice Gritti, Tim Kickbusch
Verifikation: Michael Lehmann-Morgenthal

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