Fütterungszeit auf dem Dählerhof. Doch weder Heu noch Kraftfutter stehen für die Rinder auf der Tageskarte, es gibt Bier satt! Kälber wie Jungrinder drängeln an die Traufen. Biertreber und -hefe schwappen als feuchte Pampe in die Tröge. Sepp Dähler aus Stein im Schweizer Kanton Appenzell füttert seine Herde nach dem Vorbild des japanischen Koberindes mit Rückständen aus der Brauerei.
Trotz des Bierkonsums: Beschwipst ist keines der Tiere. "Wir lassen das Projekt von einem Tierarzt begleiten", sagt Sepp Dähler. "Die Kühe mit ihren vier Mägen, verdauen den Alkohol vollständig." Die Bierhefe ist mineralstoff- und vitaminreich und wird in jeder Ökoabteilung als Mittel gegen Hautprobleme angeboten. Ein Effekt, von dem die Rinder auf dem Dählerhof ebenfalls profitieren: Nach der Fütterung werden die Rinder mit der Hefe massiert. Dann schnappt sich Sepp einen Eimer und eine Bürste und steigt in den Stall. Wärend der einstündigen Massage halten die Kühe ihm ihre dicken Bäuche entgegen. Mit rhythmischen Strichen massiert er das Gemisch ins Fell. Wohlig lecken die Rindviecher dabei Bauer und Eimer ab.
Weizenrecycling fürs Rind
Lieferant des ungewöhnlichen Rinderfutters ist die Brauerei Locher in Appenzell. Für sie baut Dählerhof den Weizen für das Weizenbier an. Die Abfall- und Nebenprodukte kommen dann zurück auf den Hof. Dieses Weizenrecycling ist ein profitables Geschäft für Bauer Dähler. Das Fleisch seiner mit Bier gemästeten Rinder verkauft er, und aus den Häuten werden Gürtel gefertigt, die von einheimischen Goldschmieden und Sattlern mit typischen Motiven beschlagen werden.
Der Dählerhof und seine bierseligen Rinder sind aber längst nicht die einzige Attraktion in Appenzell. Der Kanton im Osten der Schweiz sieht mit seinen sanften, immergrünen Hügeln und den darauf versprenkelt liegenden Bauernhöfen aus wie das ideale Vorbild für eine Modelleisenbahn. Und tatsächlich winden sich fünf rote Appenzeller Bahnen durch die Hügel und verbinden die kleinen Dörfer miteinander.
Entschleunigung und Brauchtumspflege
Trotz seiner Bilderbuchlandschaft gehört das Appenzellerland nicht zu den Ferienregionen, die sich marktschreierisch dem Touristen anbiedern. "Es ist schön, dass Sie unser Gast sind", liest man oben auf dem Säntis, mit 2500 Metern der höchste Gipfel und Hausberg des Kantons. Man lebt mit aber nicht für den Tourismus. Entschleunigung ist das Stichwort. Sehen, Wandern, Sein. Touristische Attraktionen und Bettenburgen wird man, den Appenzellern sei Dank, vergeblich suchen. Abwechslung bietet, was der Kultur des Landes entspringt: Gelebte Brauchtümer wie die Silvesterkläuse, die mit alten Masken das neue Jahr einfeiern, oder die witzige und bizarr anmutende Trauerfeier um eine Strohpuppe namens Gidio Hosetoss am Aschermittwoch. Der Appenzeller feiert, weil es Brauch ist und nicht, weil die Touristen zuschauen.
Service
> Restaurant Traube
Marktgasse 7, CH-9050 Appenzell, Tel. +41 (0)71 78714 07,
Gasthof Weissbadbrücke
Familie Schmid-Wyss, CH-9057 Weissbad, Tel. +41 (0)71 799 13 31, Fax +41 (0)71 799 16 69,
Hotel Walzenhausen
CH-9428 Walzenhausen/AR, Telefon: +41 (0)71 886 21 21, Fax: +41 (0)71 888 10 84 ,
Appenzellerland Tourismus AR
Bahnhofstrasse 2, CH-9410 Heiden, Telefon +41 (0)71 898 33 00, Fax +41 (0)71 898 33 09
Appenzellerland Tourismus AI
Hauptgasse 4, CH-9050 Appenzell, Telefon +41 (0)71 788 96 41, Fax +41 (0)71 788 96 50,
Zugeständnisse machen die Einheimischen bei der Erholung. In Walzenhausen, im gleichnamigen Hotel, herrscht Karl Sapper über den Wellness- und Therapiebereich. Spezialität für die stressgeplagten Urlauber ist ein heilsames Heubett. "Dreißig Jahre dauert es", sagt Karl Sapper, "bis so eine Almwiese düngerfrei ist, und all die Kräuter wieder wachsen, die unserem Heubett die kurierende Wirkung verleihen." Das Kumarin, der Wirkstoff im Heu, beruhigt das vegetative Nervensystem. Ohne Laken genossen, wirken die Heilkräuter direkt durch die Haut. Es piekst und sticht, aber es duftet wundervoll. Der Begriff "Wellness" ist für das rustikale Heubett fast zu modern. Eigentlich passt die heilende Kraft der Hochgebirgskräuter besser zu dem etwas aus der Mode gekommenen Begriff der Kur.
Schnörkellos und gradlinig
Landschaftlich lässt sich das Appenzell regelrecht dreiteilen: Vorne der Bodensee, dahinter die sanften und saftigen grünen Hügel und am Horizont thront über allem der Säntis mit seiner schroffen Bergwelt. Eine Schwebebahn, die Schwägalpbahn, gleitet dort sanft in die Höhe und gibt bei gutem Wetter den Blick auf die fünf Anrainerstaaten frei. Ihr zu Füßen liegt die Schaukäserei Schwägalp, in der der unverwechselbare Appenzeller hergestellt wird. Appenzeller Käse darf nur in Appenzell hergestellt werden und wird in der Küche gern und reichlich etwa zum Überbacken benutzt. Eine würzige, deftige Küche, die ohne Schnörkel daherkommt.
So schnörkellos und gradlinig wie die Küche sind auch die Menschen. Herzlich, direkt und Heimat verbunden. Alte Handwerkskünste wie die Glockensattlerei, die Goldschmiedekunst, die Schnitzerei, Malerei und die Trachtenschneiderei stehen eigenständig neben modernen Hightech Fabriken. Bauern, Winzer und Gastwirte behaupten sich neben moderner Vier- und Fünf-Sterne-Hotellerie. Auf diesem Boden von Tradition und Weltaufgeschlossenheit gedeihen immer wieder einfallsreiche Appenzeller, die mit unkonventionellen Ideen Nischenmärkte erschließen wie Sepp Dähler in Stein.