Hinter dem alten Gotthardtunnel beginnt der Süden. War es auf der Alpennordseite noch bewölkt und regnerisch, wechselt das Wetter nach dem Tunneldunkel meist mit einem Schlag, empfangen einen in Airolo grelles Sonnenlicht und Wärme.
Von dem Ort fährt ein Postbus mehrmals am Tag in Richtung Nufenpass nach Westen. Die Straße führt durch das einsame Bedretto-Tal, durch das der Tecino fließt, der dem südlichsten Kanton der Schweiz seinen Namen gab. Nach 20 Minuten hält er in dem Dorf All'Acqua, dem 1612 Meter hoch gelegenen Ausgangspunkt einer mehrtägigen Wanderung, die nach der Überquerung mehrerer Hochebenen und Pässe im oberen Valle Maggia weiter im Süden endet.
Von der Schweiz kurz nach Italien
Durch grüne Wälder und Almen geht es auf dem Weg an der Alpe Val d’Olgia und einer Kapelle vorbei zum sanften Passo San Giacomo (2h) in 2313 Metern Höhe hinauf. Wie einige Bauten zeigen, war der Pass bis vor Kurzem auf Schweizer Seite militärisch gesichert. Denn hier am Übergang zum Val Formazza verläuft auch die Grenze zu Italien.
Im Gegensatz zum schmalen Weg der Schweizer hatten die Italiener vor knapp 100 Jahren bereits eine Fahrstraße zur Passhöhe gebaut, die den alten Säumerpfaden folgt. Daher lässt es sich auf der heute für den Autoverkehr versperrten Schotterpiste rasch abwärts am Lago Toggia bis zum Rifugio Maria Luisa (2160 Meter) laufen. In der Hütte des italienischen Alpenvereins kann das erste Quartier bezogen werden, wie überhaupt entlang dieser Wanderung stets Hütten zur Verfügung stehen.
Schöner geht’s es allerdings weiter östlich ohne Höhenverlust zum Laghi Boden und dann fast weglos über Schuttfelder aufwärts steigen bis zur Bochetta di Val Maggia (1:30h), einem Pass in 2633 Metern Höhe, wo selbst Anfang August noch Schneefelder anzutreffen sind.
Abstieg mit Blick auf den 3000er des Tessins
Vom Pass geht es Richtung Lago di Robièi durch ein weites Hochtal mit Blick auf den alles dominierenden Basòdino (3272 Meter) zum Lago dei Matörgn (2450 Meter), vorbei an der renovierten Alpe Arzo bis nach Robièi (1889 Meter), einer schon wieder viel zu zivilisierten Welt.
Denn die Gewinnung von Elektrizität durch Wasserkraft hat diesen Teil des Tessins sichtbar verändert. Hochspannungsmasten und die ehemalige Unterkunft der Bauarbeiter des Robièi-Stausees ragen wie Fremdkörper in den Himmel; der Rundbau kann aber auch als Wanderquartier dienen. Viel zünftiger geht es weiter unterhalb auf der Capanna Basodino zu.
In Robièi herrscht Betrieb. Zum einen endet hier die aus dem Bavonatal kommende Seilbahn, zum anderen kreuzen sich hier beliebte Wanderwege: der von Süden nach Norden führende "Sentiero Cristallina" und der neue Rundweg, die "Trekking dei Laghetti Alpini".
Der Zivilisation kann man nur über die Staumauer und auf einer geteerten Straße entkommen. Dafür wird man nach knapp zwei Stunden und 500 Meter höher mit dem Blick auf den Lago Nero (2388 Meter) belohnt, der wie eine einsam gelegene und voll Wasser gelaufene Arena wirkt.
Bei der Querung oberhalb im begrünten Hang bis zur Bacchetta del Lago Nero (2563 Meter) sind die steilsten Stellen mit Drahtseilen abgesichert. Nach dem Kreuz am Pass geht es über Firn- und Schuttfelder und mit nur mäßig wie-rot-weiß markierten Wegspuren hinunter in ein abgeschiedenes Hochtal, das deutlich weniger frequentiert wird, als die bekannten Wanderwege bei Robièi.

Dann heißt es nur noch gemächlich abwärts laufen, vorbei am Lago Laiòzz und der Alpe Zotta bis Corte della Froda (1775 Meter, 3 h). Zuvor gibt es noch eine Überraschung und willkommene Abkühlung, die in der Karte nicht verzeichnet ist: Der inzwischen breitere Weg führt 20 Minuten lang durch einen Tunnel. Per Knopfdruck auf einen Lichtschalter wird es sogar hell.
Wer eine Unterkunft benötigt, kann zur Selbstversorgerhütte im Valle di Pecci ausweichen, der Capanna Poncione di Braga (2000 Meter). Doch längst liegen die Höhen hinter einem mit den Rufen der Murmeltiere. Die Baumgrenze wird wieder erreicht, Wälder mit Lärchenbäumen, Schmetterlingswiesen und bewirtschaftete Almen.
Kuhfladen und Kuhglocken sind die ständigen Begleiter auf den letzten Kilometern entlang der sich immer tiefer windenden und rauschenden Fiume Peccia bis unterhalb des Dorfes Peccia (4:40 h), wo der Fluss in die Maggia mündet. Und wer jetzt immer noch genügend Kräfte hat, kann entlang der Maggia noch bis Bignasco (2 h) weiterlaufen.
Voraussetzungen: gute Kondition, Trittsicherheit und elementares Orientierungsvermögen.
Infos: www.ticino.ch, www.viaaltavallemaggia.ch, Trekking dei Laghetti Alpini
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