Herr Dierolf, ich hoffe, Ihnen und ihrer Familie geht es gut.
Ja, wir hatten großes Glück. Bis auf ein paar Schürfwunden sind alle aus meiner Familie am Montag wieder heil in Frankfurt gelandet.
Wo waren Sie, als die Flutwelle die Malediven erreichte?
Unser Ferienresort befand sich auf einer kleinen Insel namens Ohluveli am Süd-Male-Atoll. Nach dem Frühstück, so gegen 10.30 Uhr Ortszeit, legte ich mich an den Strand. Ich wunderte mich, als plötzlich meine Füße nass wurden und das Wasser langsam näher kam. Dann bin ich drei bis vier Meter zurück. Kurze Zeit später reichte das Wasser auch bis dorthin. Es schwappte immer näher heran, bis es an den Bungalows stand, die zehn Meter vom Strand weg waren.
Haben Sie da schon an einen Tsunami gedacht?
Nein. Erst wunderte ich mich nur und konnte mir das Phänomen nicht erklären. Erst als das Wasser nicht nur hinterhergelaufen ist, sondern sich auch aufgefüllt hatte bis Hüfthöhe, wurde mir mulmig zu Mute. Im Gegensatz zu Berichten aus Thailand ist bei uns das Wasser vorher auch nicht zurückgegangen, überhaupt nicht.
Wie haben Sie sich vor den Fluten in Sicherheit gebracht?
Wir konnten uns aufs Dach retten und haben von dort gesehen, wie das Wasser die ganze Insel ca. 2 m überflutet hat, bis nur noch die Zimmer im 1. Obergeschoss herausragten. Es war, als würde die ganze Insel sinken. Dass die Bungalows zweistöckig waren, was für die Malediven ungewöhnlich ist, hat uns das Leben gerettet.
Trotzdem wäre ihre Tante fast ertrunken.
Sie hatte ihr Zimmer auch im Erdgeschoss und hat zu spät bemerkt, dass das Wasser immer höher stieg. Als sie aus dem fensterlosen Badezimmer aufs Dach flüchten wollte, hat das Wasser bereits die nach Außen öffnende Tür blockiert. Das Wasser stieg so hoch, dass sie auf den Waschtisch klettern musste, um noch Luft holen zu können. Ein Meter höher und sie wäre wahrscheinlich ertrunken.
Ihre Schwester, Mann und der zweijährige Sohn konnten sich auch nicht aufs Dach retten.
Die drei waren auf dem Rückweg zu den Zimmern und wurden von der Welle überrollt. Der Sog hat sie dann ins Meer gezogen. Zum Glück konnten Sie sich solange über Wasser halten bis der Rückstrom der Welle sie an wieder an den Strand gespült hat; dies hat ihr Leben gerettet.
Hatten Sie begriffen, dass Sie sich in Lebensgefahr befinden?
Wir hatten Angst, aber die Gefahr war uns allen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Das ganze lief wie ein Film ab und wir haben automatisch das Richtige getan. Erst als das Wasser zurückging und wir den verwüsteten Strand und das Chaos in den Zimmern, im gesamten Hotel und der Insel sahen, wurde uns das ganze Ausmaß der Katastrophe klar.
Im Fernsehen sind schreckliche Bilder von angeschwemmten Leichen zu sehen. War es vor Ort genauso?
Ich hab keine Toten gesehen, zum Glück. Da waren nur diese Massen von Wasser.
In Badehosen und T-Shirt sind Sie dann von der Insel geflüchtet.
Ja, mehr konnte ich in der Eile nicht mehr aus dem zerstörten Zimmer retten. Schließlich wollten wir so schnell wie möglich von der Insel runter. Unter den Gästen der Insel brach auch Panik aus. Es war ja zu befürchten, dass das Wasser noch einmal zurückkommt. Ich packte meine Familie und wir konnten mit einem kleinen Fischerboot zu einem größeren Schiff, das vor der Insel kreuzte, übersetzen. Erst da hatten wir ein sicheres Gefühl.
Das Schiff hat Sie und andere Hilfesuchende dann auf die Inselhauptstadt Male gebracht. Trotzdem war Ihre Odyssee noch nicht zu Ende.
Als wir in Male ankommen, wollte man uns zunächst in einer Turnhalle unterbringen. Ich bin dann aber mit meiner Familie direkt an den Flughafen gegangen, um irgendeine Maschine zu bekommen. Wohin war uns ganz egal, Hauptsache weg. Doch wir hatten ja weder Papiere noch Geld.
War vor Ort denn noch niemandem klar, was überhaupt passiert war?
Wir haben selbst erst im Fernseher vom Ausmaß der Tragödie erfahren. Die Behörden waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht darauf eingestellt, gestrandete Touristen von der Insel zu bringen. Ich konnte unsere Situation zum Glück einer Angestellten der ungarischen Fluglinie Malev klar machen, die dann dafür sorgte, dass wir ohne Geld und Papiere mit der nächsten Maschine nach Budapest fliegen konnten. Die war kurz nach der Flutwelle noch in Male gelandet und hat Touristen auf die Insel gebracht.
Und in Budapest ging es dann mit der Lufthansa zurück nach Hause.
Ja, nachdem man uns mit Decken versorgt hatte, wir waren ja noch im Strand-Look, landeten wir gegen am Montagmorgen kurz vor neun Uhr glücklich in Frankfurt.
Sie waren zum siebten Mal auf den Malediven. Auch zum letzten Mal?
Meinen Weihnachtsurlaub hatte ich mir sicher anders vorgestellt, aber Katastrophen können ja schließlich überall passieren. Ich würde mir nur wünschen, dass die Behörden ein besseres Frühwarnsystem für derartige Unglücke einrichten.