Herr Hamann, beim Duell Leverkusen gegen den FC Bayern an diesem Samstag treffen nicht nur die beiden besten Mannschaften Deutschlands aufeinander, sondern auch zwei der größten Talente des Weltfußballs: Florian Wirtz und Jamal Musiala. Wenn Sie Sportdirektor wären und sich einen der beiden Spieler aussuchen dürften – für wen würden Sie sich entscheiden?
Für Wirtz, auch wenn die Bayern das nicht gerne hören werden. Wirtz ist einer, der eine ganze Mannschaft besser macht. Ein echter Zehner, ein Spielmacher, technisch überragend und zugleich mit einem sehr guten Auge für seine Nebenleute ausgestattet. Das gibt's in dieser Kombination nur sehr selten.
Uli Hoeneß hat kürzlich gesagt, dass er Wirtz gern zum FC Bayern holen würde. Aber nicht im Tausch gegen Musiala, sondern als dessen Mitspieler. Was halten Sie von diesem Plan?
Puh, schwierig. Die beiden sind sich zu ähnlich. Sie haben ihre Stärken im zentralen Mittelfeld und würden sich gegenseitig auf den Füßen stehen in München. Oder es müsste einer von beiden auf den Flügel ausweichen, was aber bedeuten würde, dass er seine Qualitäten nicht zu hundert Prozent auf den Platz bringen könnte.

Zur Person
Dietmar Hamann, 51, arbeitet heute als TV-Experte. Während seiner aktiven Karriere spielte er unter anderem für den FC Bayern, Liverpool und Manchester City
In der Nationalmannschaft jedoch scheint dies zu funktionieren. Bundestrainer Nagelsmann hat während der EM 2024 und auch in den darauffolgenden Nations-League-Partien auf beide Spieler gesetzt.
Bei der EM hat das meiner Meinung nach weniger gut geklappt. Die Europameisterschaft war das Turnier von Musiala. Wirtz habe ich deutlich schwächer gesehen. Er hat ein Tor im Viertelfinale gegen Spanien gemacht – aber was ist sonst in Erinnerung geblieben von ihm? Schauen Sie nach Leverkusen, da blüht er in dieser Saison richtig auf. Warum? Weil es eine klare Rollenverteilung gibt. Granit Xhaka organisiert die Defensive, und vorn führt Wirtz die Regie, ohne dass ihm jemand dazwischenfunkt.
Wirtz kann in jeder Mannschaft dieser Welt spielen. Wovor sollte er Angst haben?
Auch wenn Wirtz ein Frühvollendeter zu sein scheint: Er ist erst 21 Jahre alt. Wäre ein Schritt zu einem europäischen Spitzenklub im Sommer sinnvoll oder käme das zu früh?
Wirtz kann in jeder Mannschaft dieser Welt spielen. Wovor sollte er Angst haben? Ich will ihm aber keine Ratschläge geben, er wird das gemeinsam mit seinen Eltern und Bayer Leverkusen entscheiden. Er macht auf mich einen sehr besonnenen Eindruck.
Neben Florian Wirtz hat Leverkusen noch einen zweiten Star in seinen Reihen: Xabi Alonso, Ihren ehemaligen Mitspieler aus Liverpooler Zeiten und heutigen Trainer von Bayer 04. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Xabi hat bewiesen, dass der Gewinn der Meisterschaft im vergangenen Jahr kein Zufallstreffer war. Leverkusen hat sich als einzige deutsche Mannschaft direkt fürs Achtelfinale der Champions League qualifiziert. Bayern und Dortmund spielen gerade die Play-offs, und Leipzig ist ganz raus. Das zeigt, wo Leverkusen steht. Xabi hat die Mannschaft in die Top Ten Europas geführt.
Und spielerisch? Was unterscheidet das Leverkusener Team 2025 von jenem aus der Meistersaison?
Xabi lässt noch immer einen mitreißenden, technisch hochklassigen Fußball spielen. Das Team heute wirkt noch reifer und abgeklärter als letzte Saison. Für mich ist Leverkusen die spielerisch beste Mannschaft Deutschlands.
Diese Bayern sind verwundbar, wenn man sie hinten unter Druck setzt
Tabellenführer ist aber der FC Bayern.
Mag sein, aber die Bayern sind defensiv anfälliger. Zuletzt am Mittwoch gegen Celtic Glasgow, da haben sie in den Schlussminuten ganz schön gewackelt. Überhaupt hat die Champions League gezeigt, dass man die Bayern knacken kann. Das haben sogar vermeintlich kleinere Teams wie Aston Villa oder Feyenoord Rotterdam geschafft. Dazu kam noch die 1:4-Klatsche gegen Barcelona, ein ganz düsterer Abend. Also: Diese Bayern sind verwundbar, wenn man sie hinten unter Druck setzt.
Im Verein ist es aber ruhig wie lange nicht mehr. Nach bewegten Jahren unter Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel scheint man in München sehr zufrieden zu sein mit der Arbeit des neuen Trainers Vincent Kompany. Zu Unrecht?
Nein, Kompanys Arbeit ist sehr respektabel. Das musst du erstmal hinbekommen als junger Trainer, in dieses Team wieder Struktur reinzubringen und es zu befrieden. Als Tuchel im letzten Sommer ging, war einiges im Argen. Mannschaft und Trainer lagen über Kreuz, und auch in der Kabine gab es Zoff. Vincent Kompany hat jetzt alle hinter sich versammelt. Man hört ihn nie schlecht über seine Spieler reden, selbst nach schlechten Leistungen nicht. Diese Loyalität danken ihm seine Jungs. Sie folgen ihm.
Die Frage ist bloß: Wer von den Leistungsträgern wird bleiben? Die Vertragsverhandlungen mit Joshua Kimmich stocken, und die vom Verein ersehnte Verlängerung mit Jamal Musiala ließ lange auf sich warten. Erst an diesem Freitag wurde Vollzug gemeldet. Was sagt dies über die sportliche Führung des FC Bayern aus?
Dass sie sehr spät dran ist mit wichtigen Personalien – und dass es sehr teuer wird. Man hätte das alles schon im vergangenen Sommer regeln müssen. Joshua Kimmich ist mittlerweile Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, was seinen Marktwert nochmals erhöht hat. Er weiß, dass die Bayern mit ihm unbedingt verlängern wollen. Er kann ganz gelassen bleiben und schauen, was sonst noch an Angeboten reinkommt. Ähnlich lagen die Dinge bei Musiala. Der Verein wollte unbedingt und der Spieler saß über Monate am längeren Hebel. Jetzt hat Musiala verlängert und steigt angeblich zu einem absoluten Spitzenverdiener auf. Die Bayern werden sich finanziell verausgaben wie noch nie, um ihre besten Leute zu halten. Sie stehen vor der teuersten Transferperiode ihrer Vereinsgeschichte.
Ihr Tipp für das Spiel am Samstag?
Leverkusen traue ich einen Sieg zu, aber Meister werden die Bayern. Die acht Punkte und 24 Tore Vorsprung, die die Bayern haben, holt Leverkusen wohl nicht mehr auf.