Auf dem Fahrradergometer in der Bad Nauheimer Sportklinik, auf dem am Montagabend eines der größten Comebacks der jüngeren Sportgeschichte geplatzt ist, strampeln schon wieder die Kassenpatienten. Dr. Johannes Peil, der Leibarzt des siebenfachen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher, lächelt den Schwitzenden zu. Aber weder Mimik noch weißer Schnurrbart können verbergen, dass die Mundwinkel ob der eigenen Diagnose nur anderthalb Wochen vor dem geplanten Start beim Großen Preis von Europa in Valencia auch beim Optimisten-Sportmediziner stark nach unten hängen. Da hat er viel gemein mit seinem prominenten Schützling. "Ich bin zutiefst enttäuscht", bekannte Schumacher am Dienstagmorgen auf seiner Internetseite. Niente, Schumi.
Ein Nackenschlag für ihn, für die ganze Formel 1 - und vor allem einer im Wortsinn. Die Folgeschäden des Motorradunfalls im Februar in Cartagegna sind weit schwerer als gedacht, noch zehn Tage nach dem ersten Rennwagentest in einem Vor-Vorjahres-Ferrari schmerzte es den 40-Jährigen im Genick. Die medizinische Situation, die das Comeback rückgängig gemacht hat, wird Dr. Peil am Mittwochnachmittag auf einer Pressekonferenz in Genf darlegen, bei der sich auch Michael Schumacher äußern wird. Die, die ihn gut kennen, halten die Vokabel "enttäuscht" für untertrieben, sie wählen vielmehr den Begriff "Entsetzen".
Den Rückwärtsgang einzulegen, war eine Entscheidung der Vernunft über das Verlangen. Michael Schumacher, der sich nach dem schweren Unfall von Felipe Massa gedrängt sah, seiner Ferrari-Familie zu helfen, versucht aus seinem Pflichtgefühl heraus sogar noch die Absage zu rechtfertigen: "Ich habe absolut alles versucht, dieses Comeback auf Zeit möglich zu machen, aber zu meinem größten Bedauern klappt es nicht." Die relativierenden Nebensätze, der gewählte Konjunktiv in Zusammenhang mit dem Vorhaben Nothilfe - angesichts von Schumachers Willen und seiner offenkundigen Fitness trotz seiner langen Rennpause hatten ein Scheitern des Projektes zumindest für alle Beobachter von außen als unmöglich erscheinen lassen. Umgekehrt dokumentiert es jetzt, dass die ursprüngliche Verletzung weit größer gewesen sein muss als gedacht. Mehr als eine Prellung oder Stauchung, wie bisher angenommen. Im Schumacherschen Statement ist offen von "Brüchen im Kopf- und Halsbereich" die Rede: "Wir haben die Schmerzen leider nicht in Griff bekommen." Angesichts der orthopädischen Dramatik kein Wunder. Herausgefunden werden konnte die Belastbarkeit bei aller Simulation im Fitness-Studio aber nur durch den Echt-Test im Auto. Nicht allein der Muskelkater, sondern auch die permanenten Vibrationen, Fliehkräfte und Schläge durch Bodenwellen machten dem Rennfahrer schwer zu schaffen, der heute und morgen nochmal zu weiteren Testfahrten in der Toskana erwartet wurde. Doch nach dem finalen Check-Up in Bad Nauheim war klar: "Mein lädierter Nacken kann den extremen Belastungen der Formel 1 nicht standhalten."
Die Langzeitfolgen des Sturzes waren so groß, dass es den Rennfahrer selbst überraschte. Als er Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali relativ spontan zusagte, hat zwar das Bauchgefühl die Oberhand gehabt, doch Kopfmensch ist er immer geblieben. Dass seine wichtigste Beraterin auch in dieser Zeit Ehefrau Corinna war, hat zu einer Niederlage der Hoffnungen geführt - und einem Sieg der Vernunft. Was Schumacher tut, tut er am Limit. Im Cockpit sowieso. In Valencia wäre es zwar um Punkte für Ferrari gegangen, vielleicht auch für Schumachers Ego. Vor allem aber bleibt es ein rasender Grenzgang zwischen Leben und Tod.
Drei Wochen Intensivtraining mit Dauerbetreuung von zwei Physiotherapeuten, mit stundenlangen Sessions in einer Nackenmuskulatur-Foltermaschine, mit Muskelzuwachs und Gewichtsabnahme, mit Kartfahren und Konditionseinheiten haben nicht gereicht, um gut drei Jahre Renn-Rente wettzumachen. "Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand. Mir tut es wahnsinnig leid für die Jungs bei Ferrari und all die Fans, die mir die Daumen gedrückt haben." In Valencia wird nun der italienische Edel-Reservist Luca Badoer im roten Rennwagen sitzen. Und bald wohl auch in Bad Nauheim. Der 38-Jährige hat sich vor kurzem beim Kartfahren zwei Rippen gebrochen...