Er freut sich. Der bärtige Polizist an der Münchner Leopoldstrasse steht zwar im Regen, aber er freut sich auf einen unverhofft frühen Feierabend. "Ich werde wohl in einer Stunde nach Hause fahren können. Denn es hieß: Einsatz bis tief in die Nacht - bei einem Sieg."
Der Beamte kann sich bei Inter Mailand bedanken. Die Italiener haben eben mit ihrem Triumph im Champions-League-Finale gegen Bayern München dafür gesorgt, dass die große rot-weiße Party in München ausblieb. Der Polizist war einer der wenigen, der sich in der bayerischen Landeshauptsstadt darüber freuen konnte.
Zuspruch von einem Schalker
Sabrina legt ihren Kopf an die Schulter ihres Freundes Rainer. Vor ihr, auf der großen Videoleinwand in einer Kneipe an der Leopoldstraße, laufen die letzten Minuten des Finals. Die blonde 26-Jährige ist seit ihrer Kindheit Bayern-Fan. Zusammen mit ihren drei Freundinnen hat sie sich extra für diesen Abend herausgeputzt und ihr blau-weißes-Dirndl, die bayerische Landestracht, angezogen. Ein 2:1-Sieg für ihre Mannschaft war Sabrinas Tipp vor Anpfiff. und sie hat bis zum zweiten Treffer der Italiener an die Bayern geglaubt. Doch Sabrina ist Fußball-Expertin genug und weiß: Dieses Spiel ist für ihre Lieblinge nicht mehr zu gewinnen.
Sabrina sucht in diesen bitteren Momenten sichtlich nach Zuspruch, nach ein paar aufmunternden Worten. Doch da hat sie sich - zumindest an diesen Abend - den falschen Freund ausgesucht. Denn nicht nur Sabrina ist glühender Bayern-Anhänger, auch Rainers Herz schlägt für diesen Verein. Und auch Rainer ist ziemlich enttäuscht. "Es hat heute einfach nicht sein sollen", sagt der 31-Jährige und spielt gedankenverloren mit seinem 20 Jahre alten Bayern-Schal. "Sie haben nur durchschnittlich gespielt, das reicht halt in so einem Finale nicht."
Diese entwaffnende Offenheit wird Rainer zum Verhängnis. Sein Kumpel Daniel, ein eingefleischter Schalke-Fan, lehnt sich triumphierend zu Rainer und Sabrina: "Hey, das wird schon, nächstes Jahr", sagt er grinsend. Und mit Blick auf die sportlich wenig erfolgreichen vergangenen Jahre seines Vereins fügt Daniel hinzu: "Das sage ich mir jedes Jahr."
Hymne an den Stern des Südens
Während die Siegerehrung aus Madrid über den Bildschirm flimmert, sitzt Sepp im Freiluftbereich einer Kneipe direkt an der Leopoldstrasse und schaut traurig auf sein fast leeres Weißbierglas. "Ich bin echt geknickt", sagt der 22-Jährige während hinter ihm ein hupendes Auto vorbeifährt aus dem eine italienische Flagge geschwenkt wird." Ich hatte mich so aufs Feiern in der Stadt gefreut. Doch jetzt habe ich keine Lust mehr. Ich trinke aus und fahre nach Hause."
Diesen Plan haben offenbar auch viele andere Bayern-Fans. Schon wenige Minuten nach dem Schlusspfiff in Madrid leeren sich die kurz zuvor noch brechend vollen Kneipen. Auf der Straße sind nur einige wenige trotzige "Bayern, Bayern" Rufe zu hören, die Menschen strömen zu den U-Bahnhöfen, die meisten mit hängendem Kopf und traurigem Gesichtsausdruck. Doch es gibt auch Fans, die sich ihren Frust von der Seele brüllen. Eine Gruppe von angetrunkenen jungen Männern unterhält den ganzen U-Bahn-Zug mit Gesang; "Deutscher Meister ist nur der FCB", krächzen sie. Und dann stimmen sie das Bayern-Fanlied an: "FC Bayern, Stern des Südens, du wirst niemals untergehen, weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zu einander stehen."