Die Finalpleite und das Leben Mia san alle Bayern

Was schert es uns, wenn Millionäre weinen, weil sie nur einen Pfosten treffen? Hat die Bayern-Pleite eine Bedeutung über den Fußball hinaus? Klar, küchenpsychologisiert

Na, und? Was schert es uns, wenn Bastian Schweinsteiger weint, weil er nur einen Pfosten getroffen hat? Als ich mit dem stern-Kollegen am Montagmorgen ein wenig über das "Verlieren" an sich philosophieren will, ist der sonst sehr umgängliche Kollege regelrecht erbost, "Hier 'verlieren' Millionäre", schimpft er in einer Mail. "und sie bekommen dafür Millionen. Ihr Sozialstatus ist ungebrochen. Das mit echten, existenziellen Verlusten und Niederlagen zu vergleichen - Jobverlust zum Beispiel, Scheitern von Partnerschaften, missratene Kinder - halte ich für völlig daneben. Es bereitet mir wirklich Anfälle von Übelkeit, wenn ich so maßlose Übertreibungen sehe wie sie jetzt rund um das Bayernspiel zu beobachten sind." Wumm. Nein, heißt das in formvollendeter Klarheit: Profi-Fußball ist Show, Geschäft. Und wenn der Vollpfosten Schweinsteiger seinen Elfer vergeigt, hat er am nächsten Morgen immer noch zig Millionen Euro auf der hohen Kante, Drogba hin oder her, Schmerz hin oder her. Mit dem echten Leben hat das nichts zu tun.

Ein anderer Kollege, einer von der "Süddeutschen Zeitung", sieht das etwas anders. Auf Seite drei schreibt Holger Gertz heute unter dem Titel "Über das Verlieren" über die menschliche Dimension des Bayern-Dramas. Siegen, so kann man seine These vielleicht umschreiben, ist natürlich das schönere der ganz großen Gefühle. Aber auch die Niederlage, das Scheitern, kann viel Menschliches offenbaren. Ziemlich am Schluss heißt es in dem Text, mit Bezug auf den Samstagabend: "Was ist das Großartige am Fußball? Dass er, in seinen besten Momenten, wie das Leben ist, so kann man es wohl sagen."

Überbezahlte Schauspieler machen ein Theaterstück nicht schlechter

Wie also? Hat das Bayern-Drama irgendeinen lebenspraktischen Nutzen, irgendeine allgemeine Dimension? Ich kann hier nur küchenpsychologisieren. Aber auf diesem festen Fundament steht für mich fest: Natürlich betrifft uns das Bayern-Drama, ob Bayern-Fan oder Bayern-Hasser. Und natürlich ist das Scheitern dieser Mannschaft Sinnbild auf das Leben. Das war und ist großes Kino. Nur weil Theaterschauspieler vielleicht gut bezahlt werden, wird auch das Shakespeare-Stück nicht schlechter oder rührt uns James Camerons Schnulze "Titanic" kein bisschen weniger.

Für viele von uns ist der Fußball eine Projektionsfläche des eigenen Lebens, eine wichtige Matrix der eigenen Wirklichkeit. Fußball ist tatsächlich eine Bühne, grandioses Theater mit einem ewigen Spielplan mittwochs und samstags. Mehr noch: Wir machen die Stars zu Millionären, weil ihr Aufstieg und Fall, ihr Leiden, in begrenzter Zeit auf abgesteckter Bühne, dem Feld, etwas Existenzielles ausdrückt, das auch in unserem Leben eine Rolle spielt, gewürzt mit Zufall und Überraschung. Wir laufen ja auch Fahnen schwenkend und brüllend durch die Straßen, wenn unser Verein oder unsere Nationalmannschaft gewinnt, wollen mit dieser Gemeinschaft, dieser Gesellschaft zwingend identifiziert werden. Und genau weil dieser Fußball mehr ist als eine bloße rationale Kosten-Nutzen-Rechnung nehme ich etwa Bastian Schweinsteiger, Arjen Robben und vor allem Uli Honess locker ab, dass ihre Niederlage sie existenziell berührt, echt ist, - und deshalb auch für uns exemplarische Bedeutung hat, Millionengehälter hin oder her.

Das Scheitern der Bayern kann kaum überhöht werden

Das Scheitern der Bayern kann dabei kaum überhöht werden. Der Lebenstraum dieser Mannschaft, dieses Vereins, ist zerplatzt. Es ist eine Niederlage, die an dem Verein, an der Mannschaft und an jedem einzelnen Spieler haften bleibt. Es ist der Makel des unerfüllten Traums, den jeder dieser Millionäre nun mit sich herumträgt.

Und eigentlich dürfte es den meisten von uns so gehen. Mia san, jaha, alle Bayern. Irgendwie. Denn das Problem, dass Lebensträume platzen, Lebensziele nicht erreicht werden, dürfte eine recht universelle Erfahrung sein. Wenn Papa nach dem vierten Kind merkt, dass die große Liebesbeziehung zu seiner Frau gescheitert ist; oder der ehrgeizige, hochbegabte Mitarbeiter irgendwann feststellt, dass es zum Oberchef einfach nicht reicht; oder der fleißige Künstler begreift, dass er das große, das besondere Werk nie schaffen wird; oder wie Norbert Röttgen, der dieser Tage vielleicht feststellt, dass aus seinem Traum, Kanzler zu werden, nichts wird. Die wenigsten werden dieses Scheitern, wie Schweinsteiger oder manche Politiker, an einem Tag, an einem Ereignis, an einem Pfosten festmachen können. Aber die Fallhöhe bleibt auch bei einem unauffälligeren Versagen die gleiche.

Schweinsteiger und Robben müssen zurück auf die Bühne

Bei einem Sieg ist es der Augenblick des Gewinnens, der das Besondere, die Katharsis, ausmacht. Jener Moment, in dem der entscheidende Elfer sitzt, in dem die Mitspieler auf einen zu gerannt kommen. In dem das Gebrüll alles überlagert. Gipfelfeeling. Die Niederlage ist anders, gemeiner. Sie ist eine Demütigung mit Nachwirkungen. Und Gesicht, Profil gewinnt man erst, wenn man sich irgendwie zu ihr verhält, irgendwie mit ihr umgeht, sich neue Ziele steckt, besser wird - oder schlicht anders. Schweinsteiger oder Robben müssen sich nun aufrichten nach diesem geplatzten Traum. Irgendwie. Sie müssen weiter Fußball spielen. Sie müssen zurück auf die Bühne, auf den Platz. Sie haben keine Wahl. Sie kriegen ihre Millionen ab jetzt auch dafür, dass wir alle zugucken können, wie sie mit ihrem Scheitern umgehen - und daraus unsere Lehren ziehen können. Jeder für sich. Behaupte noch einer, bei den Bayern bekomme man nichts fürs Geld.

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