Champions-League-Finale Ungewöhnliche Szene auf PK: Edin Terzic, plötzlich Persönlichkeit

  • von Felix Meininghaus, London
Sein Matchplan funktionierte auch im Champions-League-Finale gegen Real Madrid: Edin Terzic
Sein Matchplan funktionierte auch im Champions-League-Finale gegen Real Madrid: Edin Terzic
© Zac Goodwin / DPA
Borussia Dortmund hat eine begeisternde Champions-League-Saison gespielt. Das liegt auch an Edin Terzic. Ein bemerkenswerter Moment auf der Pressekonferenz nach dem Finale beweist: Der Coach hat an Format und Standing gewonnen.

Am Ende eines bemerkenswerten Abends fand Edin Terzic Worte von geradezu staatstragender Bedeutung. Dortmunds Trainer war während der Pressekonferenz im Anschluss an das Champions-League-Finale gegen Real Madrid von einem chinesischen Journalisten gefragt worden, wie er die überwältigende Unterstützung des Anhangs im Wembley Stadion, aber auch schon im Laufe des Tages in der Londoner Innenstadt wahrgenommen habe. Der 41-Jährige sammelte sich und sagte, es sei nach dieser ebenso schmerzhaften wie vermeidbaren Niederlage "die größte Herausforderung, den Glauben hochzuhalten. Lasst uns dem Zweifel keinen Raum geben."

Als der Mann aus dem sauerländischen Menden kurz darauf das Podium verließ, um zurück zu seiner Mannschaft zu gehen, brandete im Auditorium anerkennender Applaus auf. Für eine Fragerunde am Ende eines Spiels, in dem die Pressevertreter den Protagonisten gemeinhin mit professioneller Distanz begegnen, ist das ein durchaus ungewöhnlicher und bemerkenswerter Vorgang.

Edin Terzic: plötzlich Persönlichkeit

Kein Zweifel, Edin Terzic hat in den vergangenen zwölf Monaten spürbar an Profil gewonnen. In der Fußballstadt Dortmund, in der sich gefühlt 90 Prozent der Bewohner als Experten verstehen, sind die Menschen dem Übungsleiter lange mit einer gehörigen Portion Argwohn begegnet. Terzic gelinge es nicht, seiner kickenden Belegschaft eine klare Botschaft zu vermitteln, wie sie die 90 Minuten auf dem Rasen zu gestalten habe. Zu wankelmütig agiere diese mit so vielen Hochveranlagten bestückte Mannschaft, zu rätselhaft seien die Aussetzer, die immer wieder passieren.

An diesem Manko, das weiß Terzic genau, ist weiter zu arbeiten. Doch die Dortmunder sind auf einem guten Weg. "Wir haben heute gesehen, was mit dieser Mannschaft möglich ist." Tatsächlich brachte die Borussia den Rekordgewinner der Königsklasse mit einem vor allem in der ersten Halbzeit berauschenden Auftritt an den Rand der Niederlage.

Matchplan von Terzic funktioniert (mal wieder)

Dass die Deutschen die Übermannschaft aus der spanischen Hauptstadt förmlich an die Wand spielte, das lag auch am Matchplan von Terzic, der von der ersten Minute an funktionierte. Dortmund zeigte sich vom frühen Attackieren der Königlichen vollkommen unbeeindruckt, kombinierte sicher und entschlossen durch das Mittelfeld, um auf den Außenbahnen ihre pfeilschnellen Sprinter Adeyemi und Sancho ins Laufen zu bringen.

Die Folge waren gleich fünf Chancen, die der BVB alle ungenutzt ließ. Ein Versäumnis, das sich bitter rächen sollte. Ein 0:0 zur Halbzeit als Katastrophe einzuordnen, das mutet auf den ersten Blick maßlos übertrieben an, schließlich ist ja de facto noch nichts passiert. Aber bei diesem Spielverlauf und bei diesem Gegner hatten sämtliche Beobachter die ziemlich konkrete Ahnung, dass sich das für den BVB rächen würde.

So stand Hans-Joachim Watzke mit seiner Einschätzung nicht allein da. Er sei schon nach der ersten Hälfte skeptisch gewesen, gab der BVB-Boss zu Protokoll, "weil wir aus unserer großen Überlegenheit kein Tor gemacht haben. Du hast in einem Finale solche Chancen, und am Ende gewinnt –wie immer – Real Madrid."

Fünf Chancen aus den Kategorien groß bis riesig, das war ein Wucher, den sich Real Madrid nie und nimmer leisten würde. Und siehe da, das Spielgeschehen nahm im zweiten Durchgang tatsächlich den allseits erwarteten Verlauf. Die beiden Treffer von Carvajal (nach Eckball von Toni Kroos) und Vinicius Junior trafen die sich tapfer wehrende Borussia mitten ins Herz.

Toni Kroos: "Lange gedauert, bis wir die besser Mannschaft waren"

Toni Kroos, der in seiner glorreichen Karriere so viele Titel gewonnen hat und der immer davon ausgeht, am Ende zu gewinnen, nötigten die von Terzic brillant gecoachten Dortmunder Respekt ab. "Das Entscheidende war heute, dass wir in der ersten Halbzeit kein Gegentor gekriegt haben", sagte Madrids Denker und Lenker: "Das wäre mehr als möglich gewesen. Es hat lange gedauert, bis wir die bessere Mannschaft waren."

Mehr Lob geht kaum, auch wenn sich Terzic und seine Mitstreiter dafür nichts kaufen können. Der erneut bärenstarke Mats Hummels, der in Wembley sein mutmaßlich letztes großes Finale erlebte, sprach von einer "extrem schmerzhaften Erfahrung. Wir haben hier ein großartiges Spiel gezeigt. Wir sind hier mit Mut, Herz und spielerischer Klasse aufgetreten. Mit allem, was dazugehört. Und dann machst du ein paar kleine Fehler und Real schlägt zu. Wie sie es seit gefühlt hundert Jahren machen."

Edin Terzic kann man daraus keinen Vorwurf machen. Er hat den Nachweis erbracht, dass er seine Mannschaft durchaus so einstellen kann, dass sie die Creme de la Creme in Europa herausfordern kann. Nicht  erst im Finale gegen Real, sondern auch in den Runden davor gegen Hochkaräter wie Paris Saint Germain, Atletico Madrid, Eindhoven, AC Mailand und Newcastle.

Dabei war die Assistenz von ehemaligen Spielergrößen wie Nuri Sahin und Sven Bender, die Terzic im vergangenen Winter als Co-Trainer an die Seite gestellt wurden, durchaus hilfreich. Dass der Chef auf der Bank diese Personalien nicht als Degradierung, sondern als Chance begriff, ist ein weiterer Beleg dafür, dass er als Persönlichkeit gewachsen ist.

Nun geht es darum, mit seiner Mannschaft den nächsten Schritt zu gehen, um einen Gegner vom Format Real Madrid nicht nur die Stirn bieten, sondern ihn auch besiegen zu können. "Wir haben gegen die erfolgreichste Mannschaft in diesem Wettbewerb gespielt, und wir hatten sie", betonte Terzic: "Wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass wir nicht hier sind, um ein Finale zu spielen, sondern um ein Finale zu gewinnen." Und weiter: "Wir haben so viele Dinge richtig gemacht, der einzige Unterschied ist, dass sie diesen Killerinstinkt haben. Und den hatten wir nicht. Da sind sie eiskalt, das ist ihre Qualität."

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