BVB gegen Liverpool Hoffnungslos sentimental: Jürgen Klopp zurück in Dortmund

Von Mathias Schneider
Wenn die große Liebe mal wieder vorbeischaut: Zehn Monate nach seinem emotionalen Abschied kehrt Jürgen Klopp zurück zum BVB - als gegnerischer Trainer des FC Liverpool im Europa-League-Viertelfinale.

Also, gleich die Frage aller Fragen an John Murphy, 41, aus Liverpool, seit 30 Jahren hoffnungslos dem dortigen FC verfallen und bei jedem Heimspiel dabei. Warum nur erfährt ein Kerl, ein Kraut obendrein, eine solche Verehrung, obwohl er noch nicht einmal die Champions League gewonnen hat – und das bei einem Klub, der nicht weniger als ein Mythos ist? "Um ehrlich zu sein: Wir hätten nie gedacht, dass wir einen Mann wie Klopp überhaupt bekommen können", antwortet Murphy, von Beruf Banker. "Er war so begehrt. Er hat in Dortmund etwas Bleibendes errichtet." Das soll er – bitte – wiederholen.

Wenn es weiter nichts ist.

Jürgen Klopp hat schon mal ein paar Träume geweckt, etwa vom Gewinn der Europa League. Doch davor steht unter anderem noch das Viertelfinale – ausgerechnet gegen Borussia Dortmund, den Verein, bei dem Klopp seinen Meister gemacht hat. Am kommenden Donnerstag spielen die Reds aus Liverpool gegen den BVB, eine Mannschaft, die unter Klopps Nachfolger Thomas Tuchel gerade von Sieg zu Sieg eilt.

Jürgen Klopp: Mehr als nur ein Trainer für Dortmund

Es ist noch nicht allzu lange her, dass das Dortmunder Stadion nach Klopps Puls schlug. Nun nimmt er Platz auf des Gegners Bank. Er wird in bekannte Gesichter blicken; gerade zehn Monate sind beide Parteien geschieden. Als betrete er noch einmal die alte gemeinsame Wohnung, in der nun der neue Lover wohnt – so muss es ihm vorkommen. Er ist mehr als ein Trainer gewesen für diese Dortmunder. Er war ihr Trainer.

Zwei Meisterschaften und einen Pokalsieg hat Klopp mit Dortmund erstritten, dazu kommt ein Champions-League-Finale. Er war verschmolzen mit diesem Klub, bevor sich beide Parteien im verflixten siebten Jahr auseinanderlebten.

Er hat sich nichts anmerken lassen, direkt nach der Auslosung, dabei hält er noch drei BVB-Dauerkarten, die meist der erwachsene Sohn nutzt. Auch hat er weiterhin ein Haus im nahen Herdecke. "Ich freue mich darauf, da hinzufahren", erklärte Klopp so geschäftig, als stünde er vor einem Auswärtsspiel bei Aston Villa und nicht vor einer hochemotionalen Zeitreise in die eigene Vergangenheit. Dann hörte man doch den alten Klopp im neuen sprechen, als er fortfuhr: "Ich habe diesen Ort geliebt. Einige der besten Dinge meines Lebens sind dort passiert. Aber ich hasse den Hype um meine Person."

Der ewige Zwiespalt des Jürgen Klopp

Er lebt immer in dem Zwiespalt, auf der einen Seite nicht dauernd im Mittelpunkt stehen zu wollen, auf der anderen Seite aber genau jene Aufmerksamkeit durch sein überschäumendes Wesen auf sich zu ziehen – und sie auch zu genießen. Männer, die ihn näher kennen, sagen, das anstehende Spiel sei ein ganz besonderes für ihn. Wie sollte es anders sein bei einem, der hoffnungslos sentimental sein kann?

Er hat das mit seinem alten wie seinem neuen Klub gemeinsam. Denn Liverpool, das sei ein Verein, der sich stark mit der eigenen Vergangenheit identifiziere, sagt der Fan Murphy. Und dieser Signal Iduna Park sei wie eine größer geratene Version des legendären Stadions an der Anfield Road. Das Europa-League-Finale haben seine Reds dort 2001 gewonnen. Sie kommen quasi heim. Murphy sagt, Liverpool-Anhänger seien loyal und geduldig. Fan zu sein, das sei hier eine Haltung, eine "echte Liebe", wie sie es in Dortmund seit Jahren propagieren.

Auch deshalb ist es für Klopp kulturell ein kurzer Sprung hinüber an die Atlantikküste gewesen. Er verschreibt sich solchen Projekten stets ganz. In einer Stadt, die wie Dortmund die ihr entgegengebrachte Zuneigung nicht als selbstverständlich erachtet, wird so etwas genau registriert. Klopp zeigt sich mit seiner Frau Ulla in den örtlichen Bars und Restaurants nahbar und ungezwungen – das hat ihm viele Sympathien eingetragen. Im Klub haben sie bereits alle gemeinsam einmal den vollen Klopp-Waschgang durchlaufen. Sie erlagen seinem selbstironischen Charme bei der Antrittspressekonferenz, ergötzten sich an seinem Siegersprint aufs Feld nach dem 5:4-Treffer gegen Norwich, der im Spielerknäuel endete, inklusive zerbrochener Brille.

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So launig plaudert Jürgen Klopp über seine beim Jubeltaumel zerbrochene Brille

Klopp erfreut sich dank seiner griffigen Ein-Satz-Pointen sogar bei den Fans der Gegner einer gewissen Popularität. Das Spiel gegen Manchester United nannte er die "mother of all games", und Britannien schmunzelte dazu.Der 48-jährige Deutsche hat mit seinem Charisma eine neue Farbe in die unverschämt reiche Premier League gebracht. Er ist so anders als etwa der wortkarge Manuel Pellegrini, 62, der bei Manchester City mit gebeugtem Haupt und dürrer Rhetorik seinen Dienst versieht. Anders als der wundersame und misstrauische Louis van Gaal, 64, der bei Manchester United irrlichtert. Anders als Arsène Wenger, 66, bei dessen Verein Arsenal London sie jetzt überlegen, ob es nach 20 Jahren mal gut ist.

Klopp dagegen: tanzt mit seiner Gattin auf der Vereinsweihnachtsfeier am längsten. Und leidet nicht unter der sonst üblichen Medien-Paranoia. "Er hat mit seiner Art die Fan-Basis wieder vereint, die nach zahlreichen Trainerwechseln auch untereinander in mehrere Lager zerfallen war", sagt John Murphy. In Klopp we trust.

Der FC Liverpool reist als Außenseiter nach Dortmund

Dabei ist es nicht so, dass der Deutsche sie über Nacht in ungeahnte Höhen geführt hätte. Das Ligapokalfinale ging unglücklich im Elfmeterschießen verloren. Platz neun in der Liga lautet die Zwischenbilanz; auch zur neuen Saison wird wohl kein Champions-League-Fußball an der Anfield Road zur Aufführung kommen. Der FC Liverpool reist als Außenseiter nach Dortmund, keine Frage. Im Sommer, zur Transferzeit, soll Klopp diese Elf durch Zukäufe zu seiner Elf machen, sie trimmen, und dann wollen sie mit ihm fliegen.

Ach, Dortmund – es hätte ruhig ein bisschen später seinen Weg kreuzen dürfen. So ungefähr dürfte Klopp es empfinden. Schon weil er sich der alten Liebe gern mit einer richtigen Klopp-Mannschaft in den Weg gestellt hätte, also einer Elf, die pausenlos rennt und aus allen Rohren feuert. Noch hat er den FC Liverpool nicht so weit – und muss sich ausgerechnet jetzt mit einem Monster in Gelb herumschlagen. Es dürfte rührselig werden.

Dortmund vergisst nicht. Nicht ihn.

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