Der Kölner Seele fällt es schwer, genügsam zu bleiben. Zwar hat der hiesige Traditionsklub 1. FC vor ein paar Wochen in Anbetracht seiner anhaltenden sportlichen Misere eine Ära der "Demut" und eine "neue Bescheidenheit" ausgerufen. Doch nun geht der Tabellen-Neunte der Zweiten Fußball-Bundesliga wieder in die Vollen. Trainer Christoph Daum, vom Anspruch her stets ein Mann für die Champions League, präsentierte zum Wochenbeginn im Geißbockheim eine "Weltneuheit", die Unterhaltungsindustrie und Trainingslehre synergetisch verbinden soll: Der Trainerstab setzt ab sofort auf eine individuelle Video-Spielanalyse. Jeder Akteur bekommt seinen eigenen mobilen Player, geeignet für das Abspielen von Filmen, MP3s und auch PDFs. Technik-Partner ist der französische Hersteller Archos, der dem Profiklub 30 Geräte für das Team und zwei größere Modelle für die Trainer zur Verfügung stellt.
Daum, der mit seiner Prominenz die Kollegen der zweiten deutschen Spielklasse weit überstrahlt, setzt beim FC voll auf neue Technologie und damit in der Branche einmal mehr ein Signal seiner hohen Ansprüche. Und zwar, weil der Zeitgeist das verlange. "Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass wir im Profifußball zu einer größeren Individualisierung kommen müssen", referierte der Erfolgstrainer. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft sei es geboten, auch die Spielvor- und -nachbereitung auf den Einzelnen abzustimmen. "Du brauchst denkende, vorausschauende Spieler", hat Daum erkannt, und es gehe ihm darum, die Köpfe dieser Fußballer auf neuen Wegen zu erreichen.
Video-Unterstützung in Ruhephasen
Ein verbesserter Zugang soll über die leicht zu bedienenden Geräte gelingen, die in eine Jackentasche passen. Jeder Kicker bekommt einen Archos 604 mit 30-GB-Festplatte und WiFi-Antenne. Boris Notzon, der beim 1. FC Köln seit kurzem für die Abteilung "Sportslab" zuständig ist, wird die Geräte nach Abstimmung mit Christoph Daum mit Videomaterial, aber auch Trainings- und Ernährungsplänen versehen. So können sich die Profis ihre Zweikämpfe aus dem missratenen Heimspiel nochmal anschauen oder die Finten der nächsten Gegenspieler konzentriert und in Zeitlupe studieren. "Das können sie sich dann in Leerzeiten im Hotel oder im Flugzeug ansehen", erläuterte Notzon. Trainer Daum, ganz Pädagoge, wies darauf hin, dass diese Phasen keine "Leer-", sondern "Lehrzeiten" seien.
Sein junges Sturm-Juwel, der Nationalmannschafts-Debütant Patrick Helmes, etwa könne dank der Video-Unterstützung auch in körperlichen Ruhephasen noch etwas lernen, beispielsweise die Kunst der Stars wie Ruud van Nistelrooy, sich vom Manndecker zu lösen. Aber Daum erwähnte auch die Möglichkeit, motivierende Filme zu zeigen, die besten Szenen der Karriere des kriselnden Stürmers etwa, oder das mit Rock-Musik unterlegte Spaß-Video der Mannschaft.
Zudem sieht der deutsche Meistercoach von 1992 in der Hardware eine Möglichkeit zur "Charakterschulung". Man könne "die Spieler zum Nachdenken anregen", wenn man einen Appell mit Bildern unterfüttere. Damit die Spieler sich die eingespeisten Lehrstücke tatsächlich anschauen, möchte Daum auf inhaltliche Kontrollen in der Nachbesprechung nicht verzichten. Doch zur Charakterschulung gehöre eben auch, dass die Spieler ein Interesse an diesem neuen Trainingsmodul entwickeln. "Wenn es einer abspielen lässt, ohne es anzuschauen, trickst er sich doch nur selber aus", findet Daum. Solche Spieler seien ohnehin nicht fit für die Zukunft im Profisport. "Wer das nicht benutzt, von dem kannst du dich sowieso in absehbarer Zeit trennen", fügte er mahnend hinzu.
Kabinenansprache nicht aus der Mode
Daum hat sich in den letzten Wochen immer wieder als Vorreiter in Sachen neue Technologie präsentiert, auch wenn er von sich selbst sagt, er sei "nicht der absolute Technik-Experte". Er will von den nordamerikanischen Profiligen wie der Basketball-Liga NBA oder der Football-Liga NFL lernen, auch von der Analyse-Technik im brasilianischen Fußball. Die Einrichtung eines Sportslabs im Kölner Verein zielt genau in diese Richtung. Boris Notzon filmt die Spieler während der Trainingseinheiten und auch bei den Spielen. Auf Zuruf des Co-Trainers Roland Koch stellt Notzon inzwischen sogar für die Halbzeitbesprechung zwei, drei typische Szenen bereit, die Daum seinen Mitarbeitern dann auf dem Display vorführt. Der Coach sieht darin ein Mittel, steuernd in die Partie einzuwirken - beispielsweise, wenn er auf dem Touchscreen in der Kabine Schwächen im Positionsspiel aufzeigt.
Manchmal allerdings hilft auch die High-Tech nicht. Wie im letzten Heimspiel der Kölner gegen Koblenz. Da lag der FC zur Pause nach katastrophaler Leistung 0:1 hinten. Daum sagte Boris Notzon, er werde diesmal auf die Videosequenzen verzichten. Die Tür fiel ins Schloss und es wurde grob. "Unter Ausschluss der Öffentlichkeit darf man auch mal Formulierungen wählen, die einem sonst Beleidigungsklagen einbringen", umschrieb Daum hinterher seinen rhetorischen Einsatz in der Pause. Der hätte die Kapazität des Archos-Spielers gesprengt, fügte er später hinzu. Die harschen Töne hatten aber immerhin Erfolg, Köln siegte am Ende 3:1.