Es war klar, dass Bastian Schweinsteiger der fünfte und letzte Schütze der Bayern im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea sein würde. Keiner in der Mannschaft übernimmt mehr Verantwortung in dieser Mannschaft als er – nicht mal Kapitän Philipp Lahm. Wann immer der 27-Jährige auf dem Platz steht, gibt er die Richtung vor. Schweinsteiger ist der Chef bei den Bayern, er holt das Team vor wichtigen Spielen im Kreis zusammen und schwört es ein. So war es auch wieder vor dem Anstoß zum Champions-League-Finale gewesen. Sogar vor dem Elfmeterschießen rief der Vize-Kapitän seine Männer zusammen. 15 Minuten später wäre Schweinsteiger nach seinem entscheidenden Fehlschuss am liebsten von dieser Erde verschwunden.
Es ist eine ungeheure Tragik: Der Nationalspieler hat nach seiner langen Verletzungspause natürlich noch nicht wieder die Form aus dem vergangenen Herbst. Und dennoch: Gegen den FC Chelsea ging Schweinsteiger wie zu besten Zeiten voran, kurbelte Angriff über Angriff an und unterdrückte den Schmerz bis zum Schluss. Eigentlich war das eine Weltklasse-Leistung – bis zu jenem fatalen Schuss. Schon bevor Didier Drogba überhaupt zum letzten Elfmeter für Chelsea antrat, vergrub Schweini sein Gesicht unter dem Bayern-Trikot. In dem Moment ahnte er, dass die von ihm so wunderbar geführte Mannschaft dieses Endspiel der Königsklasse verlieren würde.
Gegen Madrid noch der Held
Als das schließlich feststand, brach alles aus Schweinsteiger heraus. Weinend sackte er am Mittelkreis zu Boden, wendete sich von den unzähligen Kameras ab und ließ nichts und niemanden mehr an sich heran. In diesem Moment war er der einsamste und traurigste Mensch auf diesem Planeten. Als die erste heftige Emotionswelle schließlich abgeebbt war, nahm Chelseas Matchwinner Drogba Schweinsteiger in den Arm und ließ ihn gar nicht mehr los. Immer weiter redete Drogba auf ihn ein. Der Ivorer kennt das Gefühl, große Finalspiele zu verlieren. 2008 scheiterte der Stürmer in Chelseas bisher erstem Champions-League-Endspiel dramatisch an Manchester United. Im Elfmeter-Krimi fehlte Drogba, weil er in der 116. Minute wegen einer Tätlichkeit Rot sah.
Bastian Schweinsteiger hat nun schon zum dritten Mal ein internationales Endspiel verloren. In seiner Vita stehen fünf deutsche Meistertitel und fünf Pokalsiege, aber der große Triumph fehlt ihm noch. Gegen Spanien unterlag er 2008 bei der EM mit der deutschen Nationalmannschaft im Finale, und auch zwei Jahre später ging er mit den Bayern nach der Niederlage im Champions-League-Endspiel gegen Inter Mailand als Verlierer vom Platz. Die Partie fand damals in Madrid statt. Dort, im Estadio Bernabéu, erlebte Schweinsteiger vor wenigen Wochen im Halbfinale-Rückspiel gegen Real seine persönliche Sternstunde, als er im Elfmeterschießen den entscheidenden Treffer für seine Bayern erzielen konnte. Wegen Manuel Neuer und Bastian Schweinsteiger standen die Münchner überhaupt nur im "Finale dahoam". Und jetzt das. Der Fußball schreibt manchmal die brutalsten Geschichten.
Zu große Scham
Als die Bayern an diesem für sie so grausamen Abend schließlich zur Siegerehrung auf die Tribüne gerufen wurden, um sich dort die Verlierer-Medaillen abzuholen, wurden sie von den Spalier stehenden Engländern auf den Weg dorthin beklatscht. Schweinsteiger trat als Letzter den schweren Gang an. Er wischte sich mit seinem Trikotärmel die Tränen aus dem Gesicht und starrte auf den Boden. Die Scham war zu groß. Für einen kurzen Moment blickte er schließlich doch nach oben und fiel in die Arme von Chelsea-Kapitän Frank Lampard. Beide Führungsspieler schätzen sich und haben schon so manches große Spiel mit ihren Nationalmannschaften gegeneinander bestritten. Lampard hat auch so seine Erfahrung mit verschossenen Elfmetern. 2006 trat er im WM-Viertelfinale gegen Portugal als erster Schütze seiner Mannschaft an und verschoss, England schied aus. Für Schweinsteiger ist das aber nur ein schwacher Trost. In München verschwand er als erster Bayern-Spieler wortlos in der Kabine.