Was meinen Strunz? Zu Grabe getragener Mythos

Im alten Wembley-Stadion feierte Thomas Strunz 1996 mit dem Gewinn des EM-Titels einen seiner größten Erfolge. Zum ewigen Klassiker gegen England kehrte der ehemalige Nationalspieler zurück nach London - und flog desillusioniert wieder nach Hause. Eine Arena hat ihre Seele verloren, sagt Strunz.

Ich hatte am Mittwochabend das Vergnügen, beim Sieg der deutschen Nationalmannschaft, in diesem immer jungen Klassiker des Weltfußballs, live dabei gewesen zu sein. Mittendrin stand ich, genau zwischen den fröhlichen deutschen Fans in der Kurve des neuen Wembley-Stadions. Die Vorfreude auf einen stimmungsvollen Abend bei mir war riesig. Jeder weiß ja um die Atmosphäre in den englischen Stadien. Und dann auch noch das neue Wembley. Ein Heiligtum in England.

Das Testspiel hielt in etwa das, was vorher erwartet wurde. Zwei ersatzgeschwächte Teams trafen aufeinander. Unsere deutsche Mannschaft harmonierte insgesamt recht ansehnlich, drehte den frühen Rückstand und kam an Ende zu einem gar nicht mal unverdienten 2:1- Sieg. Doch das Ergebnis spielte am Mittwochabend für mich nur eine Nebenrolle. Ich wollte wissen, ob der alte Mythos auch im neuen Stadion weiterlebt. Ich darf die Antwort vorweg nehmen: Nein, der Mythos Wembley ist tot. Jeder, der irgendwann einmal im alten Wembley-Stadion war, oder sogar dort spielen durfte, wird nach dem gestrigen Abend sehr enttäuscht nach Hause gegangen sein. Ich bin es jedenfalls.

Nicht mehr zu spüren vom alten Fußball-Geist

Das neue Stadion ist ohne Zweifel ein unglaublich großes, sehr modernes Stadion und reiht sich nahtlos in die Kette neuer Arenen wie dem Stade de France in Paris oder der Allianz-Arena in München ein. Aber das neue Wembley hat für mich keine Seele mehr. Bekam man früher schon beim Anblick der alten Tribünen von außen eine Gänsehaut, so schaut man heute zwar auf die imposante Größe der Arena, aber ein Kribbeln war bei mir nicht zu verspüren. Hörte man früher 90 Minuten die englischen Schlachtgesänge, so waren es gestern unsere deutschen Fans (denen man für ihre Unterstützung ein großes Kompliment machen muss), die 90 Minuten sangen. Hatte man früher das Gefühl, dass im alten Stadion immer etwas Besonderes anstand, hatte ich gestern das Gefühl, dass die englischen Zuschauer dachten, sie seien in einem Theater, in dem am Ende geklatscht und gefeiert werden darf. Nichts, aber auch gar nichts war von den weltberühmten englischen Gesängen zu hören. Stimmung wie in Old Trafford oder an Liverpools Anfield Road? Fehlanzeige!

Mit den neuen supermodernen Arenen, die für Sponsoren natürlich interessanter sind und den Klubs und Stadionbetreibern mehr Geld bringen, verabschiedet man sich immer mehr von der ursprünglichen Geschichte des Fußballs. Unvergessliche Spiele, an die sich jeder Fan doch gern erinnert, die fanden im Nou Camp in Barcelona, im Bernabeu in Madrid oder eben im alten Wembley-Stadion statt. Am Mittwoch war von diesem besonderen Fußball-Geist bei mir nichts zu spüren.

So flog ich Donnerstag in aller Herrgottsfrühe mit gemischten Gefühlen von London aus nach Hause. Ich ließ meine persönlichen Erinnerungen an die Euro 96 an mir vorüber ziehen und war, als ich in Hannover landete, froh darüber, dass ich noch im alten Wembley-Stadion Geschichte mitschreiben konnte. Und darauf bin ich stolz, denn das bleibt unvergessen.

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