Der Fußball schreibt manchmal die grausamsten Geschichten: Beim für das gastgebende Kamerun entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Ägypten am vergangenen Wochenende liegen die "unzähmbaren Löwen" bis zur 80. Minute in Führung, das WM-Ticket hätte ihnen bei diesem Endergebnis eigentlich niemand mehr nehmen können. Dann aber fällt der überraschende Ausgleich, der die heißblütigen Fans im vollbesetzten Stadion von Yaounde in einen kollektiven Schockzustand versetzt. Kamerun rennt in den letzten Minuten kopflos an, Angriff auf Angriff rollt auf das ägyptische Tor zu - vergeblich.
Die Nachspielzeit: Zur Überraschung aller packt der Schiedsrichter fünf Minuten als "Zugabe" auf die 90 Minuten oben drauf. Die letzte Chance für Kamerun, doch noch irgendwie zum Siegtreffer zu gelangen. Und tatsächlich, in der 94. Minute deutet der Unparteiische auf den Elfmeterpunkt. Plötzlich ist sie da, die größte aller Gelegenheiten, sich doch noch die gleichsam ersehnte wie erwartete WM-Teilnahme zu sichern. Pierre Wome übernimmt die Verantwortung. Der Abwehrspieler von Inter Mailand läuft an… und trifft den Pfosten. Schluss, aus, vorbei - der Schiedsrichter pfeift kurz danach das Spiel ab. Kamerun fährt nicht zur WM, der verhängnisvolle Fehlschuss stürzt ein ganzes Land in tiefe Depressionen.
Erinnerungen an Escobar-Mord
Depressionen, die sich in Kameruns Hauptstadt Yaounde ganz schnell in Wut verwandeln. Zu spüren bekommen das die Spieler, vor allem einer: Pierre Wome, gegen ihn richtet sich der ganze Hass. Der 26-Jährige muss um sein Leben fürchten. Wütende Fans machen sich in der Stadt auf die Suche nach ihm, verwüsten sein Haus, zünden sein Auto an. Das alles erinnert verdächtig an ein Ereignis von vor elf Jahren. Der Kolumbianer Andres Escobar musste sein Eigentor in der Vorrundenpartie der Weltmeisterschaft 1994 gegen die USA (1:2) mit dem Leben bezahlen. Das Ergebnis hatte das vorzeitige WM-Aus für die kolumbianische Auswahl bedeutet.
Humberto Munoz hatte den ehemaligen Nationalverteidiger am 2. Juli 1994 auf einem Parkplatz vor einer Diskothek in der kolumbianischen Großstadt Medellin mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Escobars Mörder wurde übrigens in diesen Tagen nach elf Jahren Gefängnis aus der Haft entlassen. Nach Verbüßung von drei Fünfteln der um 26 Jahre verkürzten ursprünglichen Strafe von 43 Jahren hatte der zuständige Richter den 55-Jährigen wegen guter Führung entlassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Situation in Kameruns Hauptstadt wieder beruhigt und Pierre Wome irgendwann wieder ein halbwegs normales Leben führen kann. Daran ist im Moment allerdings nicht zu denken, traurig aber wahr.