Speerwerfer Johannes Vetter: Meine Leistungen haben gezeigt – es gibt keinen besseren als mich

Johannes Vetter Mitte Mai beim Speerwurf-Meeting in Offenburg
Johannes Vetter Mitte Mai beim Speerwurf-Meeting in Offenburg
© Beautiful Sports / Axel Kohring / Imago Images
Er hält den deutschen Rekord im Speerwurf mit 97,76 Metern – doch 2022 wird Johannes Vetter von einer Entzündung in der Schulter gebremst. Ein Gespräch über Druck von außen, lustige Abende mit Freunden und Karriere nach dem Spitzensport.

"Speerwurf-Ass", "Ausnahme-Speerwerfer", "Gold-Favorit" – diese Bezeichnungen fand die deutsche Presse in den vergangenen Monaten für Johannes Vetter. Eigentlich hätte er kurz vor 20 Uhr am Sonntagabend das Olympiastadion in München betreten sollen – eine Medaille im Blick. Doch um den Titel kann Vetter nicht kämpfen. Den Weltmeister von 2017 plagt eine lädierte Schulter. Kurz vor der EM gibt er bekannt: keine Wettkämpfe mehr im Jahr 2022. 

Johannes Vetter, zuerst, wie geht es Ihnen?

Johannes Vetter: Mir geht es eigentlich ganz gut. Der ganze Saisonverlauf hat gezeigt, dass es schwer werden würde. Es hätte mich gewundert, wenn ich bei der WM hätte teilnehmen können. Ich habe letzte Woche einen Speer in die Hand genommen, um zu sehen, wie der Stand der Dinge ist. Gut ist, dass die Schulter besser reagiert. Nicht so erfreulich ist, dass ich auf keinem adäquaten Leistungsniveau performen kann. Die Entscheidung, nicht bei den European Championships anzutreten, war leider absehbar. Aber man kann mir nicht vorwerfen, nicht bis zuletzt alles versucht zu haben.

Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war, dass sie nicht mehr in Wettkämpfen antreten können in diesem Jahr?

Johannes Vetter: (seufzt) Ich habe mich damit arrangiert. Viele würden von einem verlorenen Jahr sprechen, aber wer weiß, wofür es gut sein kann. Vielleicht gibt es mir einen Schub, weil ich meinen Körper schonen konnte. Ich versuche, das Positive zu sehen und als Sportler weiß ich, dass so etwas passieren kann. Der Ehrgeiz geht mir dadurch nicht verloren. Es geht im nächsten Jahr darum, wieder ganz vorne anzugreifen. Ich bin aber auch ehrlich: Vor fünf Jahren wäre ich nicht so "entspannt" gewesen. Ich muss mir jetzt die Zeit nehmen und Stück für Stück weiterarbeiten. Normalerweise haben Spitzensportler den Druck, schnell wieder zu funktionieren. Aber es geht gerade nicht anders.

Wie sieht ein Tag in Ihrem Leben ohne Wettkampfdruck aus?

Johannes Vetter: Ich gehe trotzdem weiter ins Training und versuche, mich fit zu halten. In den letzten Wochen konnte ich mich aber auch mehr in der Stadtpolitik engagieren. Ich habe an Ausschüssen teilgenommen, die ich früher wegen Wettkämpfen nicht wahrnehmen konnte. Außerdem bin ich im Aufsichtsrat des Offenburger Fußballvereins und konnte mir ein paar Spiele ansehen. Ich versuche, in dieser wettkampffreien Zeit etwas für meine Kommune zu tun. Im September werde ich etwas kürzer treten und Urlaub machen.  

Wie tickt der private Johannes Vetter, wenn er mal nicht den Speer in der Hand hält?

Johannes Vetter: Mein engster Kreis denkt sicherlich manchmal über mich: Was ist das für ein kleiner Kindskopf? Da lache ich mit Freunden über dumme Sachen, die ich früher mit 15 lustig gefunden hätte. (grinst) Das muss auch mal sein, macht ja Spaß.

Welche Rolle spielt Ihr Freundeskreis gerade in Ihrer jetzigen Situation?

Johannes Vetter: Meine Freunde wussten zuerst, dass ich pausieren muss. Sie sind für mich da, wenn ich sie brauche und umgekehrt. Bei einem Abend im Freundeskreis, werde ich gefragt, wie es mir geht, und dann ist es gut. Da spielt es keine Rolle, ob ein Weltmeister am Tisch. Da bin ich ein ganz normaler Typ unter normalen Typen.

Denken Sie jetzt schon über das Leben nach dem Spitzensport nach?

Johannes Vetter: Ja, natürlich. Ich werde nächstes Jahr 30 und da mache ich mir meine Gedanken. Aber ich will den Sport machen, so lange es geht. Dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte, ist ein großes Privileg. Es macht mir nach wie vor viel Spaß und ich bin gierig nach Erfolgen.

Vor Kurzem posteten Sie ein Bild von sich, als Sie Grußworte des Oberbürgermeisters bei einer Veranstaltung ausrichteten. Ein kleiner Blick in die Glaskugel?

Johannes Vetter: (lacht) Kann sein, muss aber nicht. Oberbürgermeister werde ich sicherlich nicht.

Und ein Job in der Politik?

Johannes Vetter: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Aber auch ein Job als Trainer. Ich würde versuchen, das Speerwerfen vor dem Aussterben zu bewahren. Beim Leichtathletik-Nachwuchs sieht es nicht allzu gut aus.

Was sind Gründe dafür in Ihren Augen?

Johannes Vetter: Das Geld sollte nicht der Grund sein. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Viele junge Leute können sich nicht mehr quälen. Die Anforderungen an den Leistungssport sind gleich geblieben, aber die Menschen wollen nicht mehr an ihre Grenzen gehen. Viele nehmen den bequemeren Weg. Hinzukommt, dass Übungsleiter und Ehrenamtliche fehlen, die Sport anbieten. Außerdem werden die Netzwerke von Schulen, Vereinen, Landesverbänden und nationalen Verbänden nicht genug ausgereizt, um den Nachwuchs zu fördern. Es gibt überall Verbesserungsbedarf.

Sie galten letztes Jahr bei Olympia und auch in diesem Jahr vor Ihrer Absage bei WM und EM als Hoffnungsträger und Medaillenkandidat – wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Johannes Vetter: Es ist keine Rolle, die ich für mich in Anspruch nehme, sie wird mir von außen auferlegt. Meine Leistungen in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass es keinen besseren Speerwerfer gibt als mich. Dessen bin ich mir bewusst. Das ist ein Grund, weshalb von medialer Seite Erwartungen an mich gestellt werden. Aber ich habe selbst auch Erwartungen: Wenn ich sagen würde, mir reicht eine Top-8-Platzierung, ist das natürlich Quatsch.

Bei Olympia im vergangenen Jahr kam keine der von Ihnen und Fans erhofften Medaille raus. Andere wären danach vielleicht zusammengebrochen, Sie nicht. Wie haben Sie das geschafft?

Johannes Vetter: Ich habe direkt weitergemacht. Eine Woche nach den Olympischen Spielen habe ich an einem Speerwurf-Meeting in Offenburg teilgenommen und gewonnen, genauso wie die folgenden Wettkämpfe. Die Spannung war raus, keine Frage. Aber ich habe ein gutes Umfeld, das mich betreut. Dazu gehört auch ein Sportpsychologe, der mir hilft. Einflüsse von außen nehme ich nicht wahr. Ich lese schon lange keine Kommentare mehr. Ich will mich nicht nervös machen lassen von Leuten in den sozialen Medien, die vom Sport keine Ahnung haben. Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Gesellschaft hierzulande schwer zufriedenzustellen ist. Ich glaube, selbst wenn ich in Tokio Silber oder Bronze gewonnen hätte, hätte es Menschen gegeben, denen es nicht genug gewesen wäre. Wenn das vor dem Wettkampf ausgemachte Ziel nicht erreicht wird, sind die Menschen schwer enttäuscht. Als würde es nicht reichen, wenn der Sportler und sein Umfeld enttäuscht sind. In anderen Ländern ist der gesellschaftliche Zusammenhalt stärker. Da wird man besser aufgefangen und das würde ich mir bei uns auch wünschen.

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