Frankreich-Rundfahrt Die zerrissene Tour

Von Nico Stankewitz
Am Tag nach dem Schock um Alexander Winokurow zeigt sich ein tiefer Graben im Fahrerfeld. Das "Gesetz des Schweigens" ist durchbrochen, offen werden die verdächtigen Profis attackiert. Der Radsport steht vor der Spaltung.

Vieles erinnert an die Skandaltour von 1998: Ein Team wird ausgeschlossen, es gibt Razzien in Mannschaftshotels, Fahrzeuge werden durchsucht. Auch ein (kleiner) Fahrerstreik findet statt, aber hier zeigt sich auch deutlich, was sich in den neun Jahren seit der Tour 1998 geändert hat: Während sich 1998 das ganze Feld geschlossen gegen die "Verfolgung" durch die französische Polizei wehrte, blockierten vor dem Start der 16. Etappe am Mittwoch die Fahrer der sechs französischen und zwei deutschen Mannschaften die Fahrbahn.

Rasmussen und die Mehrheit des Feldes nahmen dagegen ohne mit der Wimper zu zucken das Rennen auf. Allerdings schlossen sich einige weitere Fahrer spontan der Aktion an, wie Zeitfahr-Weltmeister Fabian Cancellara und mehrere Fahrer vom Team Milram. Erst einige Minuten später nahmen auch die protestierenden Profis das Rennen auf.

"Rasmussen hat bei der Tour nichts zu suchen"

Ein viel klareres Bild als die Ignoranz von Rasmussen hätte sich kaum finden lassen, um die Spaltung des Fahrerfeldes deutlich zu machen. Ungewohnt deutlich auch die Aussagen der Fahrer: Neben der Abscheu von der Dreistigkeit eines Winokurow forderte auch eine Reihe von Fahrern und Teamchefs den Ausschluss von den umstrittenen Spitzenfahrern Rasmussen und Contador. Der Schweizer Martin Elmiger aus der französischen Mannschaft AG2R forderte die Tour-Organisatoren auf, das Peloton "vorzusortieren", sein Teamchef Vicent Lavenu forderte sogar explizit den Ausschluss des Spitzenreiters: "Es ist skandalös, das er nicht von seinem Team von der Tour ausgeschlossen wird. Ich glaube, Rasmussen hat bei der Tour nichts zu suchen."

In so deutlichen Worten hat man sich im Feld nie geäußert, zwischen Fahrern und Teams regierte bisher immer die Vorsicht, niemand wollte ein "Nestbeschmutzer" sein. Das hat sich deutlich geändert, und auch die Organisation ändert sich gerade. Am Ruhetag in Pau haben sieben Teams eine Organisation mit dem sperrigen Kürzel "MPCC" (Mouvement Pour un Cyclisme Credible/Bewegung für einen respektablen Radsport) gegründet, die sich selber einen verschärften neuen Ehrenkodex gegeben haben, der insbesondere auch bei ärztlicher Verschreibung keine Anwendung von Kortison zulassen will.

Abspaltung von der UCI?

Darüber hinaus steht eine Abspaltung der Tour (gemeinsam mit etlichen anderen großen Rennen) vom Weltverband UCI im Raum. Tourchef Christian Prudhomme stellte eine neue Rennserie mit harten Regeln in Aussicht, an der nur noch Teams, die strikt die Anti-Doping-Richtlinien einhalten teilnehmen sollten. Der Radsport könnte im kommenden Jahr ein völlig anderes Aussehen haben.

Grundlage dafür könnte das "Peloton der Anständigen" sein, ein Begriff, der sich in den vergangenen Tagen etabliert hat. Einige Zeitungen in Frankreich haben begonnen, ein Klassement abzudrucken, in dem sich nur Fahrer der sechs französischen und der zwei deutschen Mannschaften befinden. Im "sauberen" Gelben Trikot ist dabei im Moment der Luxemburger Kim Kirchen (T-Mobile), der auch die Bergetappe am Montag gewonnen hat, nachdem die Blutproben von Winnokurow auch am Montag Doping nachgewiesen haben.

"Es gibt zwei Pelotons"

Während sich der kasachische Topstar in mehr oder weniger originelle Ausreden flüchtete und in Kasachstan schon von einer "Verschwörung der Europäer" schwadroniert wird, wehren sich die Fahrer immer deutlicher. Der Franzose Jerome Pineau von der Mannschaft Bougues Telecom: "Es gibt zwei Pelotons. Die Franzosen und Ausländer, die wahren Radsport betreiben und die anderen. Die ganze Scheiße kommt von 30,40 Fahrern" so Pineau.

Auch die Fans beziehen deutlich Stellung, denn während die protestierenden Fahrer bejubelt wurden, empfing ein gellendes Pfeifkonzert den Träger des Gelben Trikots beim Etappenstart in Orthez. Die Zuschauer können offenbar sehr deutlich unterscheiden zwischen sauberen und nicht so sauberen Fahrern. Winokurow war ja kein überraschender "Kunde", sondern ein Fahrer aus einem Team, das seit seiner Gründung unter Verdacht stand. Der neue Radsport und die MPCC sind ein Silberstreif am Horizont, aber im Klassement der Tour 2007 stehen in der Mehrheit Fahrer vorne, die aus höchst verdächtigen Mannschaften kommen. Der Weg zu einem glaubhaften Radsport mit glaubhaften Siegern ist noch weit - sehr weit.

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