Skirennläufer Daniel Albrecht "Ich glaube, ich bin im Spital"

Im Januar stürzte der Skirennläufer Daniel Albrecht schwer. Der Schweizer fiel drei Wochen lang ins Koma und verlor jegliches Erinnerungsvermögen. Vor dem Weltcup-Start erzählt Albrecht von seinem Kampf zurück ins Leben und quälenden Tagen im Krankenhaus.

Wie war das, als Sie realisierten, dass Sie Skirennläufer waren?
Schwer zu erklären. Am Anfang kommt die Erinnerung wieder, aber das Gefühl fehlt. Vom Tag, als ich den Sturz hatte, weiß ich nichts mehr. An den Tag vorher kann ich mich an ein paar Sachen erinnern. Ich weiß mittlerweile vieles, was früher war, bin aber nicht sicher, ob da noch was ist, das ich nicht weiß. Bis jetzt ist noch nichts Schlimmes gekommen.

Ist es vielleicht ganz gut für Ihre weitere Laufbahn, wenn Sie von dem Sturz nichts wissen?
Es ist ein Vorteil, nicht zu wissen, wie es war. Aber man weiß nicht, was das Unterbewusstsein macht, wenn ich wieder am Start stehe. Vielleicht bin ich nervös oder habe Angst, weiß aber nicht, wieso.

Haben Sie sich den Sturz angeschaut?
Auf youtube, Mitte März. Das war ziemlich komisch, denn die Ärzte hatten gesagt, das sei schwierig und ich solle das lieber nicht anschauen. Aber ganz vorsichtig habe ich es doch getan. Ich hatte schon Angst, dass irgendwelche Probleme auftauchen. Dann habe ich den Sturz gesehen und auch gemerkt, dass ich es selber bin, der stürzt, aber die Verbindung fehlt. Es war, als hätte ich jemand Fremdem zugeschaut. Du schaust zu und denkst: "Den hat's hingehauen."

Die Faustregel sagt: pro Tag im Koma einen Monat Reha. Sie standen nach drei Wochen im Koma schon drei, vier Monate später wieder auf Skiern.
Ich habe extrem viel Glück gehabt. Es kam alles sehr schnell zurück. Warum, weiß ich nicht. Aber ich kann nicht sagen, wann ich in den Weltcup zurück komme. Normalerweise dauert das zwei Jahre - und da ist die Hirnverletzung noch nicht dabei, und die war bei mir doch eher groß. Sobald ich das Gefühl habe, unter die ersten 15 fahren zu können, bin ich wieder am Start.

Gab es Zweifel? Einen Punkt, an dem man sagt: Ich mache nicht weiter?

Am Anfang war es schon schwierig. Man weiß ziemlich wenig, was man früher gemacht hat. Wenn das wieder da ist, fragt man sich: Was mache ich eigentlich, wenn ich nicht mehr Ski fahren kann? Zum Glück habe ich mit meiner Mode-Linie ein zweites Standbein.

Wie war der erste Tag auf Skiern?
Schon sehr schwierig. Das Gleichgewicht, die Einschätzungen, ich konnte mich nicht orientieren. Man fährt runter und denkt: Bin ich jetzt gefahren oder nicht?

Wann war das?
Eine Woche, nachdem ich aus der Klinik entlassen worden war. Die Ärzte hatten gesagt, ich dürfe nicht auf 2000 Meter, weil die Gefahr von Kopfschmerzen sehr groß sei. Ich habe gedacht: Okay, ich fahre mit dem Auto hoch, und wenn ich Kopfschmerzen bekomme, fahre ich wieder runter. Im Kaunertal war das.

Sie haben sogar das Sommertraining in Südamerika mitgemacht.
Zum Glück sind die Technik und das Gefühl für die Ski wieder zurück. Wenn kein Rhythmuswechsel und keine Schläge drin sind, geht es eigentlich wie von alleine. Nur wenn Wellen und Schläge kommen, kann ich nicht darauf reagieren und verliere statt einem Zehntel eine Sekunde. Ich muss realistisch sein und damit rechnen, dass es erst in zwei Jahren geht - wenn es überhaupt geht. Wenn es dann nicht geht, wäre es vorbei. Es wird von mal zu mal besser, aber ich bin noch weit weg von der Spitze.

War es für Sie immer klar, dass Sie zurück kommen würden?
Das ist meine typische Art, die ich immer schon im Kopf hatte. Ich habe gesagt: Ich werde Weltmeister - was eigentlich übertrieben war, und dann hab ich es doch geschafft. So war das mit vielen Dingen, die ich unbedingt wollte. Wenn ich morgens im Spital aufgewacht bin, hatte ich immer das Gefühl: Ich muss besser werden. Da wusste ich noch gar nicht, dass ich Skirennläufer war. Die meisten Patienten haben ja Schwierigkeiten, sich nur eine Stunde lang zu konzentrieren und an sich zu arbeiten. Ich habe das den ganzen Tag gemacht.

Wann und wie kam das Wissen über die eigene Vergangenheit zurück?
Die Ärzte erzählen einem nichts, was man nicht selber fragt. Ich hätte am Anfang nicht gewusst: Was redet der überhaupt? Der Kopf war noch nicht so weit, das aufzunehmen.

Was waren die ersten Gedanken, an die Sie sich erinnern können?
Ich dachte: Ich glaube, ich bin im Spital. Was mache ich hier? Ich glaube, ich bin verletzt. Jetzt schlafe ich wieder. Diesen Gedanken hatte ich vier, fünf Tage. Mehr war nicht da. Man weiß nichts, man fragt sich auch nichts. Man fragt nicht: Wie alt bin ich? Der Tag ist ziemlich leer. Auch jetzt passiert es mir manchmal, dass ich einen Bekannten treffe und mich frage: Wie heißt der? Was macht der?

Wie konnten Sie überhaupt trainieren?
Schwierig. Ich hatte Mühe, Treppen zu gehen, konnte keinen einzigen Liegestütz. Ich war ziemlich bei Null. Im Juli bin ich beim Mountainbiken gestürzt und habe mir die Hand gebrochen. Mittlerweile kann ich fast alles mittrainieren, muss aber vorsichtig sein, dass ich es nicht übertreibe. In den drei Wochen im Koma habe ich 15 Kilo abgenommen - aber die habe ich wieder zurück.

Unterstützt die Familie Ihr Comeback?
Da muss sie. Sonst würde ich nicht mehr mit ihr reden oder würde es trotzdem probieren. Für meine Mutter ist es schon schwierig, wenn ich wieder Abfahrt fahren sollte. Aber Abfahrt und Super-G sind die Disziplinen, in denen ich am ehesten den Schritt zurück machen könnte.

Egal, ob das Comeback nun gelingt: Ist es nicht ein kleines Wunder, was Sie bis jetzt schon erreicht haben?
Es ist ein großes Wunder. Es ist nur schwer, den Journalisten zu erklären: Es geht mir gut, aber ich bin noch sehr weit von meinem alten Niveau entfernt. Aber Aksel Lund Svindal, der ja auch so schwer gestürzt war, hat mir Mut gemacht und gesagt: Wenn man einmal extrem gut war, stimmt vieles im Kopf, und dann kommt man auch wieder zurück.

Können Sie sich vorstellen, noch mal in Kitzbühel zu starten?
Das ist schon sehr schwierig, da hin zu gehen, wo man einen so schweren Sturz hatte. Aber ich bin von Natur aus ein komischer Typ. Wenn man sich diesen Zielsprung anschaut, wie hoch die Geschwindigkeit und der Luftstand ist - das ist schon extrem krass. Wenn man den Aufprall gespürt hätte, das wäre schmerzhaft gewesen. Da ist schon die Frage: Sollte man mit 140 Sachen noch einen Sprung machen?

Dieses Interview haben wir für Sie in der Financial Times Deutschland gefunden.

Daniel Albrecht

Daniel Albrecht, 26-jähriger Schweizer, stürzte am 22. Januar in Kitzbühel schwer. Drei Wochen lag er im Koma. Schädel-Hirn-Trauma plus Lungenquetschung waren die Folgen. Er hatte sämtliche Erinnerungen verloren. Beim Weltcup-Auftakt am Samstag in Sölden wird er noch kein Comeback geben, aber womöglich schon bald.

FTD
Thomas Becker

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