Wir haben immer noch amerikanische Uhrzeit an Bord, um unseren vierstündigen Wachwechsel nicht durcheinander zu bringen; deshalb die frühe Stunde, obwohl es draußen schon graukalter Vormittag ist. Die "UCA" segelt 550 Meilen vor der Nordspitze Schottlands, und der Wind kommt immer noch von vorn. Zum Glück nicht mehr so stark. Schreiben ohne plötzlichen Datenverlust durch Seeschläge scheint wieder möglich, und der gute alte Galgenhumor meldet sich wieder.
"Stinkfaktor X"
Dreisatzaufgabe: Wenn an Bord eines Bootes mit 19 Mann in zehn Tagen der Stinkfaktor X erreicht wird, welcher herrscht dann an Bord von 19 Schiffen mit 9 Mann nach 20 Tagen? Ernsthafter Hintergrund der Frage: Wie muss es den Seglern (und Seglerinnen!) auf den kleinen Schiffen zumute sein, die schon eine Woche länger unterwegs sind als wir, die noch eine Woche länger vor sich haben und seit Tagen unter den gleichen Gegenan-Bedingungen fahren wie unser Boot?
"Ich küsse das Glück, dabei sein zu dürfen."
"Furchtbar", vermutet Jörn, der Zahnarzt aus Kiel. "Wenn ich auf einem dieser Boote wäre, hätte ich die Mitfahrt schon dreimal bereut." Wir hocken hoch in Luv auf der Kante der "UCA", bis zur Nase in Ölzeug verpackt, und blicken auf den Atlantik, der ein schwarz gepflügter grobscholliger Acker ist. In Newport hatte Jörn gesagt: "Ich küsse das Glück, dabei sein zu dürfen."
Ein Traumtempo
Verglichen mit den anderen sind wir auch glücklich dran. Unser Schiff kann noch immer den Kurs halten, muss nicht kreuzen und macht trotz des spitzen Windes noch gute zehn Knoten Fahrt - für viele Fahrtensegler ein Traumtempo. Zum großen Teil haben wir die Konkurrenz schon eingeholt, allerdings ohne etwas von ihr zu sehen. Nur die "Meltemi" haben wir gestern getroffen, die sich abmeldet von Regatta abgemeldet hat und nach Cork in Irland abläuft. Ihre komplette Bordelektrik ist ausgefallen.
Die letzten vier Tage sind an die Nerven gegangen. Der Hack-Kurs hart am Wind und gegen die Wellen, stampfendes Kopfschmerz-Segeln zum Abgewöhnen. Da kam es schon zum vereinzelten Versagen der Selbstdisziplin, zum Seestiefel, der durch die Luft flog mit begleitenden Verwünschungen.
Paul, Sonnengemüt und Medizinstudent aus Kiel, fragte sich gestern, warum er sich das alles eigentlich alles antut. Und hatte auch gleich die passende Antwort: natürlich, weil er gerne segelt. Und: Weil hinterher alles wieder so schön ist. "Frisch geduscht in ein frisch bezogenes Bett gehen und dabei was trinken; mit Freunden am Strand grillen und dabei was trinken; mit der Freundin in die Oper gehen und in der Pause was trinken..."
Man kann sagen: Zehn Tage absoluter Abstinenz zeigen Wirkung. Man kann auch sagen: Frauen, schickt eure Männer auf See! Dankbar für den Reichtum des Alltags kehren sie zurück.