Die Vorgabe der mexikanischen Veranstalter lautet "offenes Hemd und keine Krawatten" - also ansehnliche und zugleich saloppe Kleidung, und die Mehrzahl der fast 5000 WTO-Delegierten hält sich auch daran. Nun sieht man bei der Ministertagung in Cancún bunte Hemden und manchmal sogar das eine oder andere Brusthaar. Und glaubt man den Beteuerungen, dann hat sich das Denken der WTO-Offiziellen wirklich geändert: Die Reichen wollen auf die Armen zugehen, und die Armen haben aufgehört, sich wie Bettler zu benehmen und zu fühlen. "Die Globalisierungskritiker haben sich Gehör verschafft", meinte ein Teilnehmer.
In bitterer Vorausschau sprach aber die britische humanitäre Organisation und WTO-Kritikerin, Oxfam, schon vor Beginn der Tagung von "Des Kaisers neuen Kleidern", die bekanntlich nicht vorhanden waren. "Cancún kann zum Waterloo für das Wachstumsdenken der Reichen oder zur Seifenblase für die hochfliegenden Träume der Armen werden - da ist alles drin", meinte ein westlicher Diplomat. Das sehen Vertreter der zu Hunderten angereisten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) ähnlich. Für die meisten von ihnen stehen aber im Gegensatz zu den locker auftretenden Verhandlungsteilnehmern die Verlierer schon fest - eben die armen Länder.
Sogar die USA kennt Kompromissbereitschft
Das kann, muss aber nicht sein, sagen Beobachter. Nach Beginn der fünftägigen Beratungen über eine Agenda und einen Zeitplan für das weitere Vorgehen bis Anfang 2005 ist ein Wandel spürbar. Die USA haben wohl als letzte richtig begriffen, dass sie ihre Weltmachtrolle nicht überall durchsetzen können. Ob es am Irak oder am Wahlkampf liegt, jedenfalls machten sie Kompromisse bei der Lockerung des Patentschutzes für lebenswichtige Medikamente, die jetzt den Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Aids, Malaria oder Tuberkulose helfen sollen. So bekannte der US-Handelsbeauftrage Robert Zoellick in Cancún, dass auch Washington dazulernen müsse, wenn es um die Zusammenarbeit mit "den Partnern Entwicklungsländer" geht.
Kleine Länder organisieren sich besser
Diese raufen sich zusammen. Da gibt es einmal die Cairns-Gruppe, in der 18 unterschiedliche Exportstaaten wie Australien, Kanada, aber auch Brasilien und Thailand verbunden sind. Und es sind 21 Entwicklungs- und Schwellenländer, die den durch Einigkeit erreichten Sieg bei Medikamenten noch toppen wollen: Unter der Führung Brasiliens haben sie beschlossen, keine Kompromisse zu machen. Sie repräsentieren immerhin über 60 Prozent der weltweit in der Landwirtschaft Beschäftigten. Indien, China und Südafrika sind auch dabei, und die Industriestaaten dürften es schwer haben, diesen Block zu knacken - wenn er denn hält.
Die gewünschte Einheit war bisher brüchig, wohingegen die EU und die USA trotz aller Handelsprobleme, etwa bei genmanipulierten Agrarerzeugnissen, vor Cancún schon mal mit gemeinsamen Vorschlägen den Schulterschluss geübt haben. "Je stärker desto besser", kommentiert der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke den Zusammenschluss der 21. Das erleichtere das Verhandeln und die Positionsbildung.
No Shorts, please
Übrigens sieht die mexikanische Kleiderordnung für Cancún vor, dass Shorts und andere kurze Hosen nicht erlaubt sind. Reife ist eben angesagt, und die Länder der Dritten Welt sind für die nächsten Tage fest entschlossen, sich nicht länger als Unmündige behandeln zu lassen. "Es wird sich zeigen, ob Koalitionen halten und wie lernfähig die Großen wirklich sind", meinte der westliche Diplomat. Auch da sei in Cancún noch alles offen.