Podcast "Die Boss – Macht ist weiblich" "Nur zu strafen, damit es weh tut – das ist Old School": Jugendrichterin Maria Kleimann über Schubladendenken und Urteile mit Lernerfolg

Jugendrichterin Maria Kleimann über junge Täter und Schubladendenken
Maria Kleimann urteilt als Jugendrichterin über Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 14 bis 20. Davon erzählt sie regelmäßig auch in ihrem Podcast "scheiße gebaut!?"
Maria Kleimann urteilt als Jugendrichterin über Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 14 bis 20. Davon erzählt sie regelmäßig auch in ihrem Podcast "scheiße gebaut!?" Bei "Die Boss" spricht sie mit Gastgeberin Simone Menne über pädagogische Strafen, Zweifel im Jura-Studium, Mitgefühl im Gerichtsaal und ob sie als Jugendliche eigentlich auch „scheiße gebaut“ hat.

Maria Kleimann ist Jugendrichterin in Hannover und damit "Die Boss" im Gericht. Mit ihrem Podcast „scheiße gebaut!?“, den sie zusammen mit ihrem Partner betreibt, will sie die Menschen dazu bringen, sich mehr mit Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen. "Härter bestrafen, mehr draufhauen", hieße es immer aus Politik und Gesellschaft. Kein schlauer Rat, findet Kleimann: "Nur zu strafen, damit es weh tut – das ist Old School."

Als Jugendrichterin verurteilt sie die Angeklagten möglichst mit einem erzieherischen Bezug und Lernerfolg. Wer zum Beispiel betrunken Auto gefahren ist, müsse zur Strafe oft in der Notaufnahme arbeiten. "Um zu sehen, wie die Menschen da ankommen, wenn sie von jemand anderem plattgefahren worden", erzählt Kleimann. Ein Jugendlicher, der einen Obdachlosen beschimpft und bespuckt hatte, musste von seinem Taschengeld einen Schlafsack kaufen und diesen zur Obdachlosenstation bringen. "Das sitzt viel mehr, als irgendwohin 70 Euro zu bezahlen."

Zweifel am Studium der Rechtswissenschaften

Ursprünglich wollte Kleimann mal Musikerin werden. Doch wegen der zahlreichen brotlosen Musiker in der Familie, hätten ihre Eltern diese Karriere zu verhindern gewusst, erzählt Kleimann scherzhaft: "Meine Eltern haben früh dafür gesorgt, dass ich so viele Instrumente lernte, dass ich nichts ordentlich und nichts richtig kann." Eine Freundin riet ihr später zu Jura, jenes Studium, das ihren Weg zur Richterin ebnen sollte.

Im Gespräch mit Simone Menne erzählt Kleimann aber auch von vielen Zweifeln während ihrer Zeit als Studentin: "Jura ist einfach unkreativ. Immer wenn ich angefangen habe, kreativ zu werden, kriegte ich schlechte Noten. Wenn ich eine 0815-Sache gemacht habe, kriegte ich gute Noten. Das hat mich gelangweilt, das fand ich blöd. Aber zum Glück spiegelt das ja nicht das wider, was man am Ende im Job macht."

"Man braucht Vorbilder und Menschen, die vor einem stehen und sagen: Du packst das schon, das wird schon."

Tatsächlich ist ihr Alltag nun ganz anders als das schnöde Pauken an der Uni. Bei "Die Boss" erzählt Kleimann, wie ein Prozess im Jugendgericht abläuft und warum sie trotz schwieriger Angeklagter immer freundlich und zuhörend sein möchte. "So eine Gerichtsverhandlung gleich eigentlich einem Theaterstück, ein sehr künstlicher Prozess, berichtet sie. "Wir werfen junge Menschen in diesen hinein und vergessen, dass das für jeden anderen total abstrus ist. Es hilft sehr, das von oben zu betrachten und zu fragen: Warum reagiert der denn jetzt so, warum ist der denn jetzt so zickig? Warum wird der jetzt so wütend? Welchen Knopf habe ich gedrückt? Nicht: Was habe ich falsch gemacht, aber was hätte ich anders machen können?"

Sich ab und an mal rauszunehmen, könne Juristen generell helfen, schließlich befänden diese sich in einem Schubladensystem: "Es ist immer gut da mal rauszugucken und zu sagen: Hänge ich gerade in einer Schublade fest? Ist mein Mind offen?"

Jugendrichterin: "Ich bin der, der bestraft, ich bin nicht der Gute in diesem Spiel. Aber ich will wenigstens keine Gummiwand sein."

Wie wichtig Offenheit und ernsthaftes Interesse an den jungen Angeklagten ist, betont Kleimann bei "Die Boss": „Das sind noch Kinder, die brauchen Begleitung. Und einen Erwachsenen, der sie nicht nur an die Hand nimmt und zeigt, wie es so geht im Leben, sondern auch für sie interessiert. Teil meiner Arbeit ist, dass es da draußen verdammt viele Menschen gibt, die 14, 15, 16 Jahre alt sind und die von sich sagen können: Es gibt keinen Menschen in meinem Leben, der sich wirklich ernsthaft für mich interessiert. Und das ist schon sehr, sehr bitter."

Diesen jungen Menschen habe nie jemand gesagt, man wolle, dass es funktioniert. "Ich sage immer: Die rennen vor Gummiwände. Die rennen in jedem Ausländeramt vor Gummiwände, in jedem Sozialamt, in der Schule auch oft und bei ihren Eltern sowieso – wenn es die überhaupt gibt. Und wenn diese jungen Leute vor so viele Gummiwände gerannt sind, dann versuche ich wenigstens keine Gummiwand zu sein. Ich bin der, der bestraft, ich bin nicht der Gute in diesem Spiel. Aber ich will wenigstens keine Gummiwand sein."

Bei "Die Boss – Macht ist weiblich" sprechen Spitzenfrauen unter sich: Gastgeberin und Multi-Aufsichtsrätin Simone Menne (unter anderem BMW, Deutsche Post DHL, Henkel) trifft  Chefinnen aus allen Gesellschaftsbereichen, um mit ihnen über ihr Leben und ihre Karriere zu reden. "Die Boss" erscheint vierzehntäglich immer mittwochs auf stern.de und dem Youtube-Kanal des stern  sowie auf RTL+ und allen gängigen Podcast-Plattformen. 

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